[A “literary pharmacy” for medical students]
Joan Bahlmann 1Svenja Hirner 2
Ines Reckziegel 3
1 Bibliothek der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, Nürnberg, Deutschland
2 Universitätsbibliothek Augsburg, Augsburg, Deutschland
3 Universitätsbibliothek Passau, Passau, Deutschland
Abstract
In our modern society, increasing attention is placed on mental health. Libraries have also taken up this important topic. To improve the mental well-being of students, the Medical Library of the University Library in Augsburg has set up a “literary pharmacy” which consists of books that promote relaxation, encouragement, comfort and entertainment. These books are organized into areas of interest and are meant to offer medical students an opportunity to take a “mental break” during stressful periods of study, thereby preventing psychological overload. The “literary pharmacy” is a concept which can be tailored to individual needs, local conditions and different target groups and can therefore also be implemented by other libraries.
Keywords
literary pharmacy, mental health, bibliotherapy
1 Einführung: Lesen fördert die mentale Gesundheit
Lesen fördert die Gesundheit. Dass dies nicht nur Einbildung von leidenschaftlichen Leser*innen ist, wurde bereits mehrfach wissenschaftlich belegt. An der Yale-Universität wurden die gesundheitlichen Auswirkungen des Lesens mit Fokus auf Langlebigkeit untersucht. Zentrales Medium waren Bücher, da hier – anders als bei Zeitungen und Zeitschriften – der Zustand des „deep reading“ erreicht werden kann. Durch das langsame, aber vollkommene Einlassen auf eine Geschichte werden der Wortschatz, die Fähigkeit der Schlussfolgerung, die Konzentration und das kritische Denken geschult. Des Weiteren stärkt das Lesen von Büchern die empathischen Fähigkeiten, die soziale Perzeption und emotionale Intelligenz. Am beeindruckendsten war jedoch die Erkenntnis, dass Leser*innen im Durchschnitt 23 Monate länger leben als Nicht-Leser*innen [1].
Das mentale Wohlbefinden kann durch Lesen besonders positiv beeinflusst werden. Eine Studie an der Universität Liverpool hat beispielsweise ergeben, dass sich die mentale Gesundheit von Personen mit Depressionen nachweislich verbesserte, wenn sie sich regelmäßig zum Lesen trafen [2]. Auch im psychotherapeutischen Umfeld hat Lesen als Teil der Behandlung einer Vielzahl psychischer Erkrankungen im Rahmen der Bibliotherapie Einzug gehalten. Als unterstützende Therapieform kann Bibliotherapie bei Ängsten, Depressionen, Posttraumatischer Belastungsstörung, Essstörungen und Sucht angewandt werden. Ziel ist es, eine Verringerung der negativen Symptome und Emotionen zu erreichen und diese schrittweise durch positivere Gefühle und Verhaltensweise zu ersetzen [3]. Im Rahmen einer Studie der Université du Québec wurden die positiven Auswirkungen von Bibliotherapie bestätigt und belegt, dass Erwachsene mit chronischen Schmerzen durch Bibliotherapie in Verbindung mit minimaler therapeutischer Unterstützung ihr körperliches und emotionales Erleben verbessern konnten [4].
2 Das Konzept „Literarische Apotheke“: Funktionen und Vielfalt
Auch im bibliothekarischen Umfeld wurden in den vergangenen Jahren Projekte entwickelt, die – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung und für verschiedene Zielgruppen – auf den Erkenntnissen der Bibliotherapie aufbauend die positive Wirkung von Buchlektüre nutzen, um das mentale Wohlbefinden der Bibliotheksnutzenden und weiterer Adressaten zu fördern. Umgesetzt wird dies durch die Bereitstellung von aufmunternder, tröstender, unterhaltender oder in anderer Form psychische Anspannungen lindernder Lektüre.
Literarische Apotheken können individuell auf die Bedürfnisse der Nutzenden angepasst werden. Da es bis jetzt keine einheitliche Definition für den Begriff und das Konzept gibt, haben Bibliotheken und Einrichtungen viele Freiheiten bei der Gestaltung. Ein Beispiel hierfür ist die Staatliche Bibliothek Regensburg, die mit ihrer „Literarischen Apotheke“ den deutschsprachigen Begriff mitprägte. Dort wird ein behandelnder Ansatz verfolgt. Hier wurde die Literarische Apotheke in Kooperation mit der Katholischen Erwachsenenbildung und einer örtlichen Psychotherapeutin aufgebaut und Nutzenden werden in mentalen Krisensituationen „Bücher auf Rezept“ verschrieben [5].
Im Gegensatz dazu liegt der Fokus der „Lettura inattese“ (dt. unerwartete Lektüre) des Veneto Institute of Oncology in Padua darauf, durch Lesen von Büchern mehr Entspannung und Staunen in das Leben der Patient*innen und Mitarbeitenden zu bringen. Wer an der „Lettura inattese“ teilnehmen möchte, wählt einen von fünf Themenbereichen aus und bekommt eine Auswahl von fünf Titeln aus diesem Bereich geliefert [6].
Die Definition einer Literarischen Apotheke ist demnach abhängig vom Ansatz, der Zielgruppe und dem Vorgehen und fällt dementsprechend unterschiedlich aus. Übergreifend lässt sich aber festhalten, dass es bei allen Literarischen Apotheken darum geht, durch das Lesen wieder mehr Entspannung, Freude und Staunen in das Leben der Nutzer*innen zu bringen. In schwierigen Zeiten sollen Bücher unterstützend wirken und den Lesenden neue Perspektiven aufzeigen.
3 Die Literarische Apotheke an der Teilbibliothek Medizin der UB Augsburg
3.1 Projektidee und Zielsetzung
Inspiriert durch die positiven Beispiele in Padua und Regensburg entstand auch an der Teilbibliothek Medizin der Universitätsbibliothek Augsburg (TM) der Wunsch, eine Literarische Apotheke einzurichten. Durchgeführt wurde das Projekt im Sommer 2024 von Studentinnen des Studiengangs Bibliotheks- und Informationsmanagement der Hochschule für den Öffentlichen Dienst in Bayern in Zusammenarbeit mit der TM (Abbildung 1 [Abb. 1]).
Abbildung 1: Projektteam der Literarischen Apotheke an der TM 
Foto: Universitätsbibliothek Augsburg
Eine örtliche Besonderheit, welche die Ausprägung des Konzepts „Literarische Apotheke“ an der TM maßgeblich beeinflusste, ist der klare Zielgruppenfokus. Die TM befindet sich auf dem Gelände des Uniklinikums Augsburg, ist aber primär auf die Bedürfnisse der Studierenden der erst 2016 gegründeten medizinischen Fakultät der Universität Augsburg ausgelegt. Für Patient*innen und Ärzt*innen des Klinikums befindet sich im Areal unabhängig davon noch eine Patientenbibliothek. Die Aufgabe der TM hingegen besteht darin, die optimale Versorgung der Medizinstudierenden mit Lehr- und Fachbüchern zu gewährleisten und ihnen einen zentralen Lernort zu bieten. Es ist allgemein bekannt, dass das Medizinstudium als besonders anspruchsvoll gilt sowie lange und intensive Lernsessions in der Bibliothek keine Seltenheit sind. Der akademische Leistungsdruck sowie die umfangreichen Lerninhalte beanspruchen dabei das psychische Wohlbefinden von Medizinstudierenden in hohem Maße.
Genau hier setzt die TM mit ihrer Literarischen Apotheke an. Diese soll den Medizinstudierenden durch die Bereitstellung von „feel-good“-Büchern in Lernpausen auch eine Verschnaufpause für den Geist ermöglichen. Anders als in Regensburg wird hier explizit kein behandelndes, sondern ein präventives Konzept einer Literarischen Apotheke verfolgt: Das mentale Wohlbefinden der Studierenden soll gefördert und somit psychische Anspannungen gelöst werden, bevor durch Stress schwerwiegendere Symptome hervorgerufen werden. In akuten Krisensituationen ist es für die Studierenden allerdings wichtig, professionelle Hilfe zu suchen. Daher wurden am Regal der Literarischen Apotheke Aushänge angebracht, die Informationen zu psychischen Erkrankungen und Kontakte zu Beratungsstellen bieten.
3.2 Aufbau und Inhalte
Der Ersteinrichtung der Literarischen Apotheke an der TM gingen einige Vorüberlegungen voraus. Zur Unterstützung – um die Literarische Apotheke möglichst nach den Wünschen der Studierenden zu gestalten – wurde im Vorfeld eine Befragung unter den Medizinstudierenden durchgeführt. Die Ergebnisse dienten mitunter als Grundlage für die inhaltliche Ausrichtung der Literarischen Apotheke. Die studentischen Rückmeldungen zeigten zudem äußerst verschiedene Assoziationen mit dem Begriff „Literarische Apotheke“, weshalb ein Informationsposter erstellt wurde, welches das von der TM verfolgte Konzept genauer erläutert.
Zeitweise stand die Frage im Raum, ob auch E-Books und Hörbücher in die Literarische Apotheke aufgenommen werden sollten. Da bei Hörbüchern vorausgesetzt werden muss, dass die Studierenden ein geeignetes Abspielgerät besitzen, was häufig nicht mehr der Fall ist, schieden diese aus. Um Bildschirmpausen zu ermöglichen, entschieden wir uns gegen die Aufnahme von E-Books. Somit ergab sich ein Fokus auf gedruckte Medien, die auch das Stöbern, Blättern und Inspirierenlassen am Regal möglich machen.
Die Medienauswahl basierte auf dem Prinzip, dass bei den Lesenden durch die Bücher gute Gefühle ausgelöst werden sollten. Da dies sehr individuell ist, wurde versucht, ein möglichst breites Spektrum an Interessengebieten und Genres abzudecken.
Zu Beginn des Projekts wurde entschieden, die Medien in Interessenkreise einzuordnen und nach diesen aufzustellen. Eine Grobstrukturierung in sieben Interessenkreise war schnell gefunden, die Benennungen wurden größtenteils individuell angepasst: „Bildgeschichten“ für Graphic Novels bzw. Comics, „Nostalgie“ für Romane mit Kindheitsheld*innen, „Weltenbummeln“ für Belletristik, „Durchblättern“ für Bildbände und „Blickwinkel“ für Sachbücher bzw. Ratgeber. Bei „Klassiker“ und „Lyrik“ wurde keine abweichende Benennung vergeben (Abbildung 2 [Abb. 2]).
Abbildung 2: Detailansicht des Interessenkreises „Durchblättern“
Foto: Universitätsbibliothek Augsburg
Ziel war es, jeden Interessenkreis anfangs mit durchschnittlich zehn Medien, die verschiedenste Themen beinhalten sollten, zu füllen (Abbildung 3 [Abb. 3]). Hierbei wurde darauf geachtet, dass in jedem Interessenkreis ein bekannter Titel, also ein Klassiker im weitesten Sinne, enthalten ist. Es sollte überall das Genre Fantasy sowie feministische bzw. queere Literatur vertreten sein und auch ernstere Themen, wie z.B. Depression und Trauer, behandelt werden. Auf Krimis bzw. Thriller wurde, bis auf zwei Ausnahmen im Klassiker-Interessenkreis, verzichtet, da die Literarische Apotheke zwar Ablenkung und Auswahl bieten soll, die beiden Genres aber im Hinblick auf die psychologische Komponente nicht passend erschienen. Die Medien in den Interessenkreisen „Durchblättern“ und „Blickwinkel“ wurden auf Empfehlung von Luisa Stapf, einer systemischen Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in Ausbildung, die das Projekt unterstützte, so gewählt, dass möglichst viele entspannungsfördernde Themen abgedeckt wurden. Luisa Stapf merkte an, dass es auch Studierende geben wird, die es vor sich selbst nur schwer verantworten können, eine Pause einzulegen. Diese Personen würden dann eher ein Buch in die Hand nehmen, bei dem sie das Gefühl hätten, etwas Produktives zu tun. Deswegen wurden auch Sachbücher über Schach, Bullet-Journals und das Etablieren von Gewohnheiten in die Literarische Apotheke aufgenommen.
Abbildung 3: Kleiner Einblick in die Titel der Literarischen Apotheke
Foto: Universitätsbibliothek Augsburg
Kochbücher und Reiseführer wurden bei der Ersteinrichtung der Literarischen Apotheke bewusst nicht aufgenommen. Bei beiden Genres könnte die Gefahr hoch sein, dass die Lektüre unnötigen Stress in intensiven Lernphasen auslöst. Kochbücher könnten Druck aufbauen, sich gesund und bewusst zu ernähren, was in stressigen Phasen für viele Menschen jedoch sehr schwierig sein kann. Ähnlich verhält es sich bei Reiseführern, die das Gefühl vermitteln könnten, etwas zu verpassen. Damit die Interessen Genuss/Essen und Reisen trotzdem in der Literarischen Apotheke vertreten sind, wurden passende Bildbände angeschafft.
3.3 Nutzung und Aufstellung
Die Einarbeitung der Bücher und die anschließende Pflege des Bestandes sollten möglichst einfach erfolgen und sich dabei flüssig in die vorhandenen Geschäftsgänge einfügen. Die Literarische Apotheke sollte sich zudem gut in die vorhandene Aufstellungssystematik eingliedern lassen. Daher erhielten die Bücher analog zum restlichen Fachliteraturbestand der TM Signaturen mit RVK-Notation. Die Literarische Apotheke als Ganzes erhielt zudem ein eigenes Lokalkennzeichen, um den Bestand auch räumlich zusammenzuhalten. Innerhalb des Lokalkennzeichens erfolgte die Aufstellung der Bücher jedoch nicht nach Notation, sondern nach den sieben Interessenkreisen.
Die Medien der Literarischen Apotheke sind grundsätzlich für die Präsenznutzung in Lernpausen gedacht. Um das stetige Vorhandensein einer ausreichenden Auswahl an Büchern zu gewährleisten, lag es daher nahe, die Medien von der Ausleihe auszunehmen. Da neben schneller Lektüre zum Durchblättern auch Romane in der Literarischen Apotheke zu finden sind, wurde der Bestand schließlich doch zur Ausleihe freigegeben, um es den Studierenden zu ermöglichen, die Bücher auch zu Hause oder andernorts auf dem Campus weiterzulesen. Hinzu kam ein weiterer, pragmatischer Grund: Die TM befindet sich im zentralen Lehrgebäude des neuen Medizincampus und verfügt über einen direkten Zugang zum dortigen Dachgarten, der als Entspannungsort und Lesegarten genutzt wird. Da sich dieser allerdings außerhalb der RFID-Gates der Bibliothek befindet, musste eine Ausleihe der Bücher ermöglicht werden.
Eine kurze Erklärung des Konzepts sowie einige Impressionen der Literarischen Apotheke der TM sind auf der Webseite der Bibliothek einsehbar. Hier befindet sich auch ein Link zu allen Titeln der Literarischen Apotheke im Online-Katalog der Universitätsbibliothek Augsburg [7].
4 Fazit und Ausblick
Erste Rückmeldungen der Studierenden zeigen, dass die Literarische Apotheke gut angenommen wird. Die Ausleihzahlen sind nach einem Jahr Betrieb zwar überschaubar, was angesichts der primären Nutzung in Präsenz allerdings nicht verwunderlich ist. Eine besonders lohnende Erweiterung des Angebots fand sich zudem im Auslegen von weiteren entspannungsfördernden Medien wie Puzzles, Sudokus, Mandalas und Kreuzworträtseln.
Insbesondere Öffentliche Bibliotheken haben sich bisher dem Thema Mentale Gesundheit angenommen und sich als Dritte Orte bereits seit Jahren um die Förderung des geistigen Wohlbefindens ihrer Nutzenden bemüht. Doch auch wissenschaftliche Bibliotheken, deren Nutzer*innen größtenteils im stressigen und fordernden akademischen Betrieb tätig sind, können und sollten einen stärkeren Fokus auf das Thema richten. Ein erster Schritt hierfür kann die Einrichtung einer Literarischen Apotheke sein.
Anmerkungen
Danksagung
Wir möchten uns ganz herzlich beim gesamten Team der TM der UB Augsburg für die Projektbetreuung, bei Luisa Stapf für die fachliche Unterstützung und allen Gesprächspartner*innen für die vielen Literaturvorschläge bedanken.
KI-Unterstützung
Bei der Erstellung des ersten Entwurfs des englischen Abstracts wurde KI eingesetzt (DeepL).
Interessenkonflikte
Die Autorinnen des Artikels erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
[1] Bavishi A, Slade MD, Levy BR. A chapter a day: Association of book reading with longevity. Soc Sci Med. 2016 Sep;164:44-48. DOI: 10.1016/j.socscimed.2016.07.014[2] Billington J, Dowrick C, Hamer A, Robinson J, Williams C. An investigation into the therapeutic benefits of reading in relationship to depression and well-being. University of Liverpool; 2010 [letzter Zugriff: 29.10.2025]. Verfügbar unter: https://www.thereader.org.uk/wp-content/uploads/2022/11/Therapeutic_benefits_of_reading_final_report_March_2011.pdf
[3] Lektüre als Mittel zur Förderung des Heilungsprozesses. Berlin: Oberberg; 2022 [letzter Zugriff: 29.10.2025]. Verfügbar unter: https://www.oberbergkliniken.de/therapien/bibliotherapie
[4] Veillette J, Martel ME, Dionne F. A randomized controlled trial evaluating the effectiveness of an acceptance and commitment therapy-based bibliotherapy intervention among adults living with chronic pain. Can J Pain. 2019 Nov 26;3(1):209-225. DOI: 10.1080/24740527.2019.1678113
[5] Bibliotherapeutische Sprechstunde & Bücher auf Rezept. Regensburg: Literarische Apotheke Regensburg; [letzter Zugriff: 29.10.2025]. Verfügbar unter: https://www.literarische-apotheke.de/b%C3%BCcher-auf-rezept/
[6] Prevedello G, Bozzato V, Gnoato M. Unexpected readings: looking for beauty in books at the Veneto Institute of Oncology. Journal of EAHIL. 2022 Sep;18(3):4-8. DOI: 10.32384/jeahil18527
[7] Bücher gegen den stressigen Lernalltag. Augsburg: Universitätsbibliothek Augsburg; 2024 [letzter Zugriff: 29.10.2025]. Verfügbar unter: https://www.uni-augsburg.de/de/organisation/bibliothek/uber-uns/teilbibliothek-medizin/literarische-apotheke/



