[Young oncological rehabilitation – a rehab measure for young cancer patients]
Georgia Schilling 11 Asklepios Nordseeklinik Westerland/Sylt, Deutschland
Abstract
Every year, about 16,000 young adults in Germany are diagnosed with cancer. This corresponds to nearly 4% of the approximately 500,000 new cancer cases. Since young people are in a completely different life situation than older cancer patients, they also have fundamentally different needs and support requirements – even in rehabilitation. Nevertheless, there are hardly any age-appropriate counselling and intervention services – neither in outpatient nor inpatient care.
Keywords
adolescents and young adults, oncological rehabilitation for young cancer patients, special supportive needs
Einleitung
Jedes Jahr erkranken ca. 500.000 Menschen in Deutschland neu an Krebs, ungefähr 16.600 davon sind sogenannte Adoleszente und junge Erwachsene im Alter von 15 bis 39 Jahren – sogenannte AYAs (= adolescents and young adults). Etwa 80% der Erkrankten in dieser Altersgruppe können geheilt werden [1]. Junge Krebspatient:innen haben jedoch ganz andere Bedürfnisse als ältere Menschen, die an Krebs erkranken. Während letztere an Komorbiditäten, sozialer Isolation, zunehmender Immobilität und Polypharmazie neben der Tumorerkrankung leiden, sind die jungen Patient:innen mitten in Studium oder Ausbildung, am Anfang ihrer Karriere. Sie nabeln sich gerade ab, sind frisch von zu Hause ausgezogen, dabei eine Familie zu gründen oder haben kleine Kinder.
Im Adoleszenten- bzw. jungen Erwachsenenalter steht die (Autonomie-)Entwicklung vom Kind/Jugendlichen zum Erwachsenen entwicklungspsychologisch im Vordergrund. Junge Erwachsene haben bereits ohne an Krebs erkrankt zu sein aus entwicklungspersönlicher Sicht eine große Spannweite der persönlichen Identitätsentwicklung. Die Gruppe der AYAs ist über die gesamte Altersspanne dazu in sich sehr heterogen, was in der Begleitung und dem Gerechtwerden ihrer speziellen Bedürfnisse eine große Herausforderung darstellt: Während bei den 15- bis 25-Jährigen die Loslösung vom Elternhaus, Ausbildung und Studium, Rebellion und Risikoverhalten im Vordergrund stehen, geht es bei den Mitte 20- bis Mitte 30-Jährigen um Partnersuche, Familiengründung und berufliche Weiterentwicklung. Diese steht neben finanzieller Verantwortung und Verantwortungsübernahme dann bei den knapp 40-Jährigen im Berufs-und Privatleben im Vordergrund [2].
Die Selbsthilfe und v.a. die Stiftung „Junge Menschen mit Krebs“ e.V. haben sich in den letzten Jahren diesen Problemen gestellt hat und eine Reihe von (online) Gruppen und sogenannte „Treffpunkte“ für jüngere Patient:innen gegründet. Im Gegensatz dazu gibt es kaum weitere alterszugeschnittene Beratungsangebote, multimodale Interventions- und Unterstützungsprogramme Programme im ambulanten Bereich und auch entsprechende stationäre Rehabilitationsmaßnahmen fehlen.
Ziel muss es daher sein, diese Versorgungslücke zu schließen, die jüngeren Erwachsenen abzuholen und ihnen spezielle ambulante ganzheitliche Programme oder eine zielgruppenorientierte Rehabilitation unter besonderer Berücksichtigung der speziellen Aspekte und Herausforderungen anzubieten.
Inzidenz und Verteilung auf verschiedene Entitäten
In den Altersbereich der AYAs fallen 3,4% aller Krebsneuerkrankungen pro Jahr, wobei junge Frauen sind etwas häufiger von malignen Erkrankungen betroffen sind als junge Männer im gleichen Alter (Tabelle 1 [Tab. 1]) [3].
Tabelle 1: Krebsinzidenz im Jahr 2023 bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (15–39 Jahre). Datenbankabfrage beim Zentrum für Krebsregisterdaten (ZfKD) [3]. 
Die häufigsten Entitäten sind bei den Frauen maligne Melanome, Mammakarzinome und Tumoren der weiblichen Geschlechtsorgane, Karzinome der endokrinen Drüsen (Schilddrüsenkarzinome) und Lymphome. Bei den Männern verhält es sich ähnlich: Melanome, Lymphome und Tumore der männlichen Geschlechtsorgane treten am häufigsten auf (Tabelle 2 [Tab. 2]) [3].
Tabelle 2: Verteilung der Tumorarten auf die verschiedenen Entitäten und Geschlechter. Datenbankabfrage beim Zentrum für Krebsregisterdaten (ZfKD) [3]. 
Nicht unerwähnt soll die Zunahme von bestimmten Tumorerkrankungen wie z.B. dem kolorektalen Karzinom im jüngeren Lebensalter = early onset cancer bleiben – eine Folge des zunehmend schlechten Lebensstils vieler junger Menschen mit Bewegungsmangel, ungesunder Ernährung oder Nikotin-, Alkohol- oder Substanzabusus. Es ist demnach in den nächsten Jahren mit einem weiteren Anstieg der Inzidenz von Tumorerkrankungen bei jungen Erwachsenen zu rechnen, was sich wiederum auch auf den Bedarf an spezialisierten Rehabilitationsprogrammen auswirken wird.
Physische Beeinträchtigungen
Prinzipiell unterscheiden sich körperliche Langzeitfolgen und Spätkomplikationen bis auf eine mögliche Infertilität nicht von denen älterer Krebspatient:innen. Das Risiko für die Entwicklung mancher Toxizitäten ist bei jüngeren Patient:innen jedoch höher und nimmt z.B. im Falle kardiovaskulärer Ereignisse über die Jahre nicht ab, sondern steigt sogar kumulativ an (z.B. Kardiomyopathie nach Anthrazyklingabe). Die Lebenszeit, die die jungen cancer survivors mit möglichen Einschränkungen und therapiebedingten Komorbiditäten leben (müssen), ist im Vergleich zu den Älteren deutlich länger, was erheblichen Einfluss auf Erwerbsfähigkeit und finanzielle Toxizität hat. Körperbildveränderungen, Infertilität und sexuelle Funktionsstörungen haben in der Altersgruppe der AYAs ein anderes Gewicht und führen nicht selten zu psychischen Folgestörungen.
Hinzu kommt, dass die Kombination aus erfolgter (System-)Therapie und ungünstigen Lebensstil-Faktoren (Adipositas, Bewegungsarmut, Nikotin, Alkohol- oder Substanzabusus, schlechte Ernährungsangewohnheiten, etc.) führt zu einem 5- bis 15-fach erhöhten Risiko für eine kardiovaskuläre Morbidität, verglichen mit der Gesamtbevölkerung. Lebensstilveränderungen und Änderungen im Ernährungsverhalten sind ein Schlüsselfaktor, um das Gesamtüberleben nachhaltig zu verbessern [4]. Hier kann die Rehabilitation mit ihren edukativen Aufgaben das Bewusstsein entsprechend schärfen. Sie stellt einen sogenannten teachable moment dar, der die Initialzündung für derartige Lebensstilveränderungen sein kann.
Psychosoziale Beeinträchtigungen und Belange
AYA-Patient:innen mit und nach einer Krebserkrankung haben grundsätzlich andere psychosoziale Bedarfe und Verhaltensprobleme als pädiatrische oder ältere erwachsene Krebspatient:innen. Es geht um Autonomie, Unabhängigkeit, zugleich entsteht intime Nähe und soziales Rollenverhalten. Die Zeitspanne wird durch biologische, kognitive und seelische Reifungsprozesse geprägt. Tritt in dieser Phase eine onkologische Erkrankung auf, kann diese Entwicklungsphase entscheidend verkompliziert werden [5]. Junge Erwachsene mit Krebs müssen sich zwei Anforderungen gleichzeitig stellen: dem entwicklungspsychologischen Prozess zwischen (Früh)Adoleszenz und jungem Erwachsenenalter mit zahlreichen Entwicklungsaufgaben und dem Krankheitsbewältigungsprozess mit körperlichen und psychosozialen Langzeiteffekten und Spätkomplikationen.
Die Persönlichkeitsentwicklung, die bei älteren Patient:innen abgeschlossen ist, wird durch die lebensbedrohliche Erkrankung Krebs schwer erschüttert und beeinträchtigt. Es entstehen plötzlich wieder Abhängigkeiten von den Eltern, man benötigt wieder Hilfe – finanziell, wie auch im Alltag. Die Familienplanung ist gefährdet, da eine Reihe von Therapien die Fertilität einschränken können, bzw.müssen zeitnah Verfahren eingeleitet werden, um Spermien, Eizellen oder Ovargewebe zu kryokonservieren und zu lagern. Die junge Familie muss für die Zukunft abgesichert werden – und das vor dem Hintergrund einer potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung. Von heute auf morgen müssen ganz schnell Entscheidungen getroffen werden, von denen man glaubte, dafür noch ganz viel Zeit zu haben.
Freunde ziehen sich häufig aus Gründen der Überforderung und dem Nichtwissen wie man mit Krebskranken umgeht zurück. Zudem sind Gedanken an Krankheit und Tod für junge gesunde Menschen meist sehr weit weg, bzw. wollen sie damit möglichst nicht konfrontiert werden. Neben einer guten medizinischen Betreuung sind deshalb Kontakte zu gleichaltrigen Betroffenen extrem wichtig. Als einziger jüngere/-r Krebspatient:in z.B. in einer Rehabilitation mit Über-70-Jährigen zu sein kann sehr einsam machen und dazu führen, dass Reha-Angebote abgebrochen, abgelehnt bzw. nicht genutzt werden.
Junge Erwachsene sind darüber hinaus über Jahrzehnte mit den weitreichenden Folgen der Krebsdiagnose und ihrer -behandlung konfrontiert. Der Einfluss von Krebsdiagose und -behandlung auf das Körperbild, die sexuelle Entwicklung und sexuelle Funktionalität kann zu Scham, sozialer Isolation und regressivem Verhalten führen, wenn die Thematik nicht adäquat adressiert wird. Bislang existieren leider nur wenige Messinstrumente, die die gesundheitsbezogene Lebensqualität von AYAs erfassen und uns helfen, sie besser zu verstehen [6]. In einer Phase IV-Studie wird demnächst der QLQ-AYA30 Fragebogen der EORTC abschließend evaluiert und kann dann zeitnah zum Einsatz kommen.
Die Konfrontation mit Sterblichkeit und Infertilität kann in der AYA-Gruppe zu signifikantem emotionalen Distress und psychiatrischen Symptomen wie Ängsten und Depressionen führen [7]. Zur Prävention von Depressionen und Ängste bei Krebs-Überlebenden ist die individuelle Therapie physischer und psychologischer Symptome genauso wichtig wie soziale Unterstützung und professionelle Beratung. Die Verschreibungsrate von anxiolytischen Medikamenten ist höher bei AYA-Patient:innen/-Langzeitüberlebenden als bei ihren Peers, was eine höhere emotionale Belastung vermuten lässt [8]. Kognitive Einschränkungen müssen vorsichtig erfasst und von Symptomen einer psychischen Störung unterschieden werden, gerade weil jüngere Krebspatient:innen im erwerbsfähigen Alter häufiger von Depressionen und Ängsten betroffen sind [9]. Eine longitudinale Studie, die den psychosozialen Distress bei 251 AYA-Patient:innen im ersten Jahr nach der Diagnose untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass die Distress-Symptomatik die der normalen Bevölkerung weit überschreitet – 12% der Befragten gaben einen klinisch signifikanten chronischen Distress seit der Diagnose an, 15% eine verzögert aufgetretene psychosoziale Belastung [10]. Die meisten Betroffenen haben jedoch nie professionelle psychosoziale Unterstützung erhalten [11]. Der Bedarf an Information, Beratung und praktischer Unterstützung wurde in 57%, 41% und 39% der AYA-Patient:innen geäußert [7]. Mehr als die Hälfte der Patient:innen berichten im Krankheitsverlauf über eine hohe psychische Belastung mit einem professionellen psychosozialen Versorgungsbedarf [12]. Psychische Belastungen sind wiederum assoziiert mit einem erhöhten Risiko für Fettleibigkeit und einem schlechterem Gesundheitsverhalten [13].
Ein Drittel der Krebspatient:innen leidet an einer psychischen Störung [14]. Der Anteil bei jungen Erwachsenen unter 40 Jahren ist mit 46,7% noch einmal deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung [15].
In den USA steigt die Rate der Suizide bei (ehemals) Krebskranken seit Jahren steil an, betroffen sind vor allem junge männliche Patienten mit Hoden- oder Schilddrüsentumoren sowie malignen Melanomen. Zwischen Diagnose und Suizid vergehen oft Jahre, wie eine Kohortenstudie zeigt [16].
Junge Menschen nach einer Krebserkrankung sind über die sogenannte Heilungsbewährungsfrist hinaus häufig benachteiligt. Dies wirkt sich z.B. auf Verbeamtungen, Abschließen einer Lebensversicherung, Adoptionen oder das Erhalten eines Kredits aus. In einigen europäischen Ländern gilt bereits das sogenannte „Recht auf Vergessenwerden“ = „right to be forgotten“. Dieses besagt, dass digitale Informationen einer Person über eine frühere Krebserkrankung nicht dauerhaft gespeichert werden dürfen, sondern nach einer bestimmten Zeit gelöscht werden müssen. In Deutschland wird die gesetzliche Bestimmung der EU noch nicht umgesetzt. Daher setzen sich die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO) und die Deutsche Stiftung für Junge Erwachsene mit Krebs verstärkt für eine Einführung ein.
Mögliches Konzept einer JOR
Bei der Altersgruppe der AYAs handelt es sich aus den o.g. Gründen im physischen wie auch im psychosozialen Bereich also um eine besonders vulnerable Rehabilitand:innengruppe, die in einer „normalen“ onkologischen Rehabilitationsmaßnahme weitestgehend unterrepräsentiert ist und nicht richtig wahrgenommen wird. Jüngere Erwachsene machen im Bereich der onkologischen Erkrankungen zwar nicht die Hauptzahl der Patienten aus, jedoch ist die Rehabilitation dieser Patientengruppe von herausragender Wichtigkeit, da das Alter der Rehabilitand:innen invers mit der Lebenserwartung korreliert und damit auch mit ihrem Beitrag zur Gesellschaft und den etablierten Sozialversicherungssystemen. Aufgrund der differenten Lebensperspektive dieser Rehabilitand:innengruppe besteht hier ein besonderer Wunsch zu einem intensiven Austausch mit Gleichbetroffenen im gleichen Alter und sozialen Entwicklungsabschnitt (Gruppe als Ko-Therapeut). Dies geht aus Anfragen an die Klinik durch Rehabilitand:innen („sind auch andere junge Rehabilitand:innen in der Klinik oder nur ältere Menschen?“) oder aus persönlichen Gesprächen bisheriger jüngerer Rehabilitand:innen hervor. Bereits die tagesgleiche gemeinsame An- und Abreise von max. 12 jungen Rehabilitand:innen (Gruppengröße von der Deutschen Rentenversicherung vorgegeben) kann den besonderen Gruppencharakter zusätzlich stärken.
Um einen ausreichenden zeitlichen Rahmen zu gewährleisten, sollte die Rehabilitationszeit im Gegensatz zu einer 21-tägigen „normalen“ Rehabilitationsmaßnahme 4 Wochen betragen (über eine initial beantragte Verlängerung beim Kostenträger).
Um den Gruppencharakter zu stärken und den Austausch untereinander niederschwellig zu fördern, dient ein eigener Aufenthaltsraum als informeller Treffpunkt für lockere Zusammentreffen. Neben hellen Farben und gemütlicher Einrichtung, Spieleangeboten oder besonderer Ausstattung (Kicker, Darts, Tischtennis, Billard, etc.) dient z.B. ein White-Board oder eine Tafel der Bereitstellung besonderer Informationen speziell für die Gruppe (z.B. morgen früh Atemgymnastik im Freien). Die Zimmer für die jungen Rehabilitand:innen können sich ebenfalls durch eine spezielle farbenfrohe Möblierung (Kissen, Decken, Tischlampen) von den üblichen Zimmerangeboten der Klinik abheben. Hier dienen installierte White-Boards dem Aufschreiben und Abfotografieren von eigenen Gedanken. Diese können dann in die psychoedukative Gruppe getragen, oder im Nachgang zu Hause thematisiert werden.
Prinzipiell haben die Rehabilitand:innen den kompletten Zugang zu allen in der Klinik angebotenen Therapien und bereits etablierten Konzepten sowie Therapiegruppen mit Rehabilitand:innen aus anderen Altersgruppen und sollen auch in diese integriert werden. Eine Isolierung oder Abschottung der jüngeren Erwachsenen ist nicht vorgesehen. Der sich in der Klinik befindenden jungen Gruppe wird aber zusätzlich ein fester Bezugstherapeut (aus dem Mitarbeiterpool der Physiotherapeut:innen bzw. Sportwissenschaftlern, angelehnt an das Konzept der verhaltensorientierten Rehabilitation) zugeordnet, der für die gesamte Rehabilitation ansprechbar ist und mit dem es einen täglichen Fixtermin gibt. Dieses tägliche Treffen dient dem gemeinsamen Austausch und der Erarbeitung eines individuell abgestimmten Programms mit bzw. für die Gruppe unter Einbeziehung von deren Wünschen.
Für die nachfolgenden therapeutischen Bereiche sollten spezifische Inhalte für die junge Gruppe fokussiert werden:
Die spezielle Sozialberatung umfasst Informationsveranstaltung mit besonderem Fokus und Angebot der Unterstützung bei den Themen Ausbildung oder Studium. Es ist hier durch eine entscheidende Weichenstellung bei einer Unterbrechung von Aus-/Weiterbildung oder Studium mit einem mitunter deutlich erhöhten Beratungsaufwand gegenüber älteren Rehabilitand:innen zu rechnen. Neben der möglicherweise noch unvollständigen beruflichen Aus- und Weiterbildung stehen noch familienbezogene Fragen zur Debatte aber auch versorgungsbezogene Fragen wie finanzielle Absicherung und Sicherung bzw. Verbesserung der Einkommenssituation als wichtige Punkte auf der Agenda:
- Sozialrechtliche Fragen, soziale Sicherung
- berufliche Orientierung und berufliche Integration, Leistungen zur Teilhabe
- Rehanachsorge und weitergehende Maßnahmen
Ärztlich geleitete/unterstütze Seminare fokussieren auf die folgenden Thematiken um die speziellen Fragen dieser Altersgruppe zu beantworten, bzw. auf weiterführende Unterstützungsangebote hinzuweisen:
- Zweitmalignome
- Infertilität/Kinderwunsch
- genetische Vererbung/familiäre Tumorerkrankungen
- Tertiärprävention/Lifestyle-Veränderungen
In der psychoedukativen Gruppe können, je nach Gruppe folgende Bedarfe schwerpunktmäßig bearbeitet werden:
- Krankheitsverarbeitung und Umgang mit Ängsten
- Ressourcenentwicklung: Warum ist Unterstützung aus dem sozialen Umfeld so wichtig? Wie verändere ich mich, aber auch meine Familie/Freunde? Wer nimmt auf wen Rücksicht? Kommunikation, Regeln aufstellen, Zeit für sich, etc.
- Resilienz-Förderung, Ressourcenarbeit, Lebensfreude wiederentdecken
- Umgang mit Kindern und deren Aufklärung über die Krebserkrankung und deren Folgen: Kinderbücher zum Thema, Gesprächsregeln und Kommunikation in der Familie, therapeutische Unterstützungsangebote für Kinder, etc.
- FLIPS (Familie, Liebe, Intimität, Partnerschaft, Sexualität): Familienplanung, Kinderwunsch, miteinander Reden und Bedürfnisse äußern, veränderte äußere Erscheinung, Intimität
- Let’s talk about Sex – Sexualtherapieseminar, verändertes Körperbild, Scham, Libidoverlust, Anspruchshaltung der Partner, queere Sexualität, sexuelle Funktionsstörung
- Junge Selbsthilfe: Umgang mit der Erkrankung über Social Media (Gruppen bei Instagram, Facebook, etc.), Apps und DiGAs zum Umgang mit Fatigue, Stress, Ängsten, kognitiver Dysfunktion, kognitiver Verhaltenstherapie, Schlafstörungen, Bewegung, psychischer Belastung etc., spezielle Selbsthilfegruppen und Kontakt zu anderen Betroffenen, gemeinsame Aktivitäten/Projekte, Information über besondere Angebote für junge Menschen mit/nach Krebs z.B. der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs der DGHO oder wohnortnahe (C)AYA-Gruppen
Im Bereich Ernährung stehen jüngere Erwachsene nach einer Krebserkrankung durch einen Interrollenkonflikt (ehemalige Krebspatientin, Familie und Partnerschaft, Arbeitswelt mit oft vorhandener Arbeitsverdichtung sowie Freizeit) häufig vor besonderen Herausforderungen. „Es muss schnell gehen, gut schmecken und trotzdem gesund und nachhaltig sein!“ lautet hier eine häufige Aussage von Rehabilitand:innen. Treffende Schlagworte sind clean eating, meal prepping oder no food waste.
Auch hier sollten die Inhalte in speziellen Lehrküchen und Vorträgen in die Therapiepläne integriert werden.
Nicht zuletzt kann auch das Sport-, Bewegungs- und Freizeitprogramm durch spezielle – geographisch geprägte und regional vorhandene Gruppenangebote und innovative Angebote (Boxen, SUPen, Surfen, Wellenreiten, Ski-/Langlaufen, Caipoiera, etc.) altersentsprechend ergänzt werden.
Herausforderungen
Die Gruppe der AYAs ist mit einer Alterspanne von 15 bis 39 Jahren entwicklungspsychologisch sehr heterogen. So ist es schwierig, allen Bedarfen von noch kindlich/jugendlichen und bereits einige Jahre im Leben stehenden jungen Erwachsenen gerecht zu werden, wenn sie in einer JOR-Gruppe zusammen sind. Besser wären noch altersspezifischer ausgerichtete Gruppen bis und ab Mitte 20, die dann getrennt aus den eher noch jüngeren und den „älteren“ Rehabilitand:innen zusammengesetzt sind. Die Zusammenstellung solcher noch definierterer JOR-Gruppen bedeutet einen deutlich höheren administrativen Aufwand für die Patientenverwaltung bzw. das Patientenmanagement. Insgesamt sind regelmäßige gemeinsame Treffen von Administration und Behandler-/Therapeutenteams ratsam, um den logistischen Anforderungen der Gruppenplanung, gemeinsamer An- und Abreise sowie Gestaltung eines gemeinsamen Freizeitprogramms zu begegnen.
Die Betreuung der JOR-Gruppen stellt einen erheblichen Mehraufwand für das ärztliche und therapeutische Personal der Rehakliniken dar: nicht nur die täglich stattfindende Bezugsgruppe sondern v.a. der erhöhte Informationsbedarf und die höhere psychosoziale Belastung der jungen Rehabilitand:innen erfordern zusätzlich zu den o.g. speziellen Gruppenangebote mehr ärztliche und psychologische Einzelgespräche.
Die Behandlerteams sind häufig durch die besonderen Schicksale, die jeweils unterschiedliche Gruppendynamik und Anspruchshaltung besonders gefordert und belastet. Regelmäßige Teamsupervisionen sind ein unbedingtes Muss i.S. einer Burnout-Prophylaxe.
Leider schlägt sich dieser personelle und finanzielle Mehraufwand für die Kliniken bislang nicht in einer besseren Vergütung, wie für VOR oder MBOR bereits etabliert, nieder, was eine Grundvoraussetzung für die flächendeckende Erweiterung derartiger Angebote darstellt. Auch angesichts der hohen Heilungsrate in dieser Altersgruppe, der langen Rest-Lebenserwartung und Erwerbstätigkeit und dem somit großen Beitrag zur Sozialgesellschaft ist eine Mehrvergütung weiter dringend zu fordern und gerechtfertigt.
Dieses besondere Angebot kann sicher auf mehrere entsprechend spezialisierte Kliniken beschränkt bleiben, die über die entsprechende Kompetenz, Finanzierung und die personellen Ressourcen verfügen und dann alle Rehabilitand:innen in dieser Altersgruppe, die den älteren ja zahlenmäßig deutlich unterlegen sind, zugewiesen bekommen. Derzeit ist das Angebot allerdings noch zu gering, um allen jungen Krebspatient:innen einen Zugang zu ermöglichen.
Schlussfolgerung
Die Unterstützungsbedürfnisse und Bedarfe von jüngeren Erwachsenen mit/nach einer Krebserkrankung im physischen wie auch im psychosozialen Bereich unterscheiden sich deutlich von denen „typischer“ onkologischer Patient:innen im höheren Lebensalter. In Deutschland gibt es derzeit allerdings nur wenige Konzepte und Angebote im stationären und ambulanten rehabilitativen Bereich, die diese adressieren und Ansprüchen und Bedarfen der AYAs gerecht werden. Da eine onkologische Rehabilitationsmaßnahme oft der erste Schritt zurück ins normale Alltags- und Berufsleben und ein teachable moment für die Umstellung ungesunder Lebensumstände ist und damit eine Schlüsselrolle in der Versorgung von jungen cancer survivors spielt, ist es umso wichtiger, spezielle multimodale Interventionsprogramme für diese Altersgruppe in Rehakliniken zu schaffen und das derzeit bestehende Angebot auszubauen.
Anmerkung
Interessenkonflikte
Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.
Literatur
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