journal_logo

GMS German Medical Science – an Interdisciplinary Journal

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

1612-3174


Dies ist die deutsche Version des Artikels. Die englische Version finden Sie hier.
Tagungsbericht
Laboratoriumsdiagnostik

Patientensicherheit durch Qualitätssicherung in der In-vitro-Diagnostik – Webinar 2024 der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostik der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

 Michael Vogeser 1
Monika Brüggemann 2
Ulrich Sack 3
Albrecht Stenzinger 4
Henning Schliephake 5
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. 6

1 Institut für Laboratoriumsmedizin, Klinikum der Universität München, LMU München, Deutschland
2 Klinik für Innere Medizin II, Sektion für Hämatologische Spezialdiagnostik, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Deutschland
3 Institut für Klinische Immunologie, Universitätsklinikum Leipzig, Deutschland
4 Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Heidelberg, Deutschland
5 Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Georg-August-Universität Göttingen, Deutschland
6 Berlin, Deutschland

Zusammenfassung

Die Verlässlichkeit von Laboruntersuchungen wird insbesondere durch das Zusammenspiel von reguliertem Marktzugang und Zertifizierung von Diagnostika, wissenschaftlicher Evidenz durch Leitlinien, durch die in § 9 der Medizinprodukte-Betreiberverordnung adressierte Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen sowie durch Normung und Akkreditierung gewährleistet. Das Webinar 2024 der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostik der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) beleuchtete am 9. Oktober 2024 dieses thematische Netzwerk in vier Vorträgen aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums, des AWMF-Instituts für Medizinisches Wissensmanagement (IMWi), der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) und der Bundesärztekammer.


Webinar In-vitro-Diagnostik 2024 der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.

Laboruntersuchungen sind von grundlegender Bedeutung für eine evidenzbasierte Gesundheitsversorgung; zuverlässige Laborergebnisse sind in den meisten klinischen Pfaden eine wesentliche Determinante der Patientensicherheit. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) widmet sich der kontinuierlichen Weiterentwicklung der In-vitro-Diagnostik langfristig und verfolgt dabei einen interdisziplinären Ansatz.

Die Verlässlichkeit von Laboruntersuchungen wird insbesondere durch das Zusammenspiel von reguliertem Marktzugang und Zertifizierung von Diagnostika, wissenschaftlicher Evidenz durch Leitlinien, durch die in § 9 der Medizinprodukte-Betreiberverordnung adressierte Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen sowie durch Normung und Akkreditierung gewährleistet. Das Webinar 2024 der AWMF-Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostik beleuchtete am 9. Oktober 2024 dieses thematische Netzwerk in vier Vorträgen.

Steffen Buchholz (Bundesministerium für Gesundheit, Referat 124) beschäftigte sich in seinem Referat mit der EU-Verordnung 2024/1860 und dem Ziel der Entbürokratisierung im Bereich der Medizinprodukte- und In-vitro-Diagnostika-Regelungen.

Die Verordnung (EU) 2024/1860 vom 13. Juni 2024 [1], [2] zielt als Änderungsverordnung darauf ab, die Verfügbarkeit von In-vitro-Diagnostika (IVD) zu gewährleisten. Ein zentrales Element ist die sicherzustellende Verfügbarkeit dieser Diagnostika, was durch eine Überarbeitung der Übergangsbestimmungen für Produkte verschiedener Klassen gewährleistet wurde. Übergangsfristen, in denen IVD unter bestimmten Voraussetzungen noch auf Grundlage einer vorherbestehenden IVD-CE-Kennzeichnung in Verkehr gebracht werden können, wurden je nach Produktkategorie wie folgt festgelegt:

  • Produkte der Klasse D erhalten eine Übergangszeit bis 31. Dezember 2027,
  • Produkte der Klasse C erhalten eine Übergangszeit bis 31. Dezember 2028 und
  • Produkte der Klasse B und A (steril) erhalten eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2029.

Ein weiterer Punkt ist die schrittweise Einführung der EUDAMED-Datenbank. Diese soll Transparenz und Produktidentifikation gewährleisten und sowohl Behörden als auch der Europäischen Kommission helfen, einen umfassenden Überblick über die auf dem EU-Markt befindlichen Produkte zu erhalten. Die vollständige Implementierung und verpflichtende Nutzung von EUDAMED sollte ursprünglich erst dann erfolgen, wenn alle sechs Module der Datenbank vollständig funktionieren. Um die Inbetriebnahme von bereits funktionierenden Modulen zu beschleunigen, wurde nun beschlossen, dass – voraussichtlich ab Ende 2025 – eine schrittweise Einführung erster, einzelner Module erfolgen wird.

Die Verordnung enthält zudem eine Meldepflicht für Hersteller im Falle von Versorgungsengpässen. Hersteller müssen vorab eine bevorstehende Unterbrechung der Produktverfügbarkeit mindestens sechs Monate im Voraus den zuständigen Behörden, Händlern und Gesundheitsdienstleistern melden. Dies soll sicherstellen, dass ausreichend Zeit bleibt, um Maßnahmen zur Minderung der Risiken für Patienten und die öffentliche Gesundheit zu ergreifen. Diese Meldepflicht tritt am 25. Januar 2025 in Kraft.

Zusätzlich sieht die Verordnung 2024/1860 die frühzeitige gezielte Evaluierung der Medizinprodukteverordnung (MDR) und der Verordnung für In-vitro-Diagnostika (IVDR) vor, die die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit dieser Verordnungen überprüfen soll. Nach strukturierten Konsultationen ist ein Bericht der EU-Kommission Ende 2025 vorgesehen; auf diesen können potentiell gesetzgeberische Maßnahmen folgen.

Die weitere zentrale Thematik der Präsentation war eine zeitnahe Entbürokratisierung der MDR IVDR. Das politische Ziel dieser Entlastungsoffensive ist es, den bürokratischen Aufwand um 25% zu reduzieren, ohne die Ziele der Verordnungen zu gefährden. Die EU-Kommission plant grundsätzlich, die Meldepflichten zu vereinfachen und Rechtssicherheit für Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), zu schaffen. Dazu soll bei neuen Gesetzesinitiativen ein neuer KMU- und Wettbewerbs-Check eingeführt werden, um die Auswirkungen neuer Regelungen auf kleinere Unternehmen zu bewerten. Diese Maßnahmen sind Teil eines größeren Plans der EU-Kommission, der Bürokratieabbau und einfachere Umsetzung in den Fokus stellt. Auch künftige Rechtsvorschriften sollen speziell im Hinblick auf KMU vereinfacht werden, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. Im Zuge dieser Maßnahmen will die Kommission bestehende Rechtsvorschriften überprüfen, um sicherzustellen, dass sie ihre Ziele erreichen und gleichzeitig den Verwaltungsaufwand reduzieren. Besonders für KMU wird ein Reduktionsziel von 35% der Berichtspflichten anvisiert. Ein weiterer Punkt ist die verstärkte Nutzung digitaler Lösungen, die eine schnellere und effizientere Verarbeitung ermöglichen sollen.

Die AWMF unterstützt als Dialogpartner des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) Initiativen zum Bürokratieabbau in der In-vitro-Diagnostik nachdrücklich. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf In-vitro-Diagnostika, die in Gesundheitseinrichtungen zur ausschließlichen Eigenverwendung hergestellt werden. Da diese Artikel nicht auf den EU-Markt gebracht werden, empfiehlt die AWMF eine Verschlankung des relevanten Artikel 5 (5) der IVDR [3].

Dr. Monika Nothacker (AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement (IMWi)) gab einen umfassenden Überblick über das AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement (IMWi), das Leitlinienregister und aktuelle Forschungsprojekte zur Digitalisierung von medizinischem Wissen.

Das AWMF-IMWi wurde 2009 gegründet und hat Standorte in Marburg und Berlin. Es unterstützt die medizinischen Fachgesellschaften der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) bei der Erstellung und Pflege von Leitlinien. Zu den Aufgaben gehören die methodische Unterstützung bei der Entwicklung und Pflege des Leitlinienregisters, die Weiterentwicklung der Leitlinienmethodik sowie die Organisation von Schulungen und Beratungen. Zusätzlich arbeitet das IMWi an nationalen und internationalen Projekten, die der Qualitätssicherung und Verbesserung der medizinischen Versorgung dienen, beispielsweise im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie und der Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL).

Medizinische Leitlinien sind systematisch entwickelte Empfehlungen, die den aktuellen Wissensstand widerspiegeln und medizinischem Fachpersonal wie Patienten bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Diese Leitlinien basieren auf der sorgfältigen Bewertung wissenschaftlicher Evidenz und der Abwägung von Nutzen und Schaden verschiedener Behandlungsoptionen. Ziel ist es, Orientierungshilfen für die Praxis bereitzustellen, wobei Abweichungen in begründeten Fällen möglich sind. Rechtlich betrachtet gelten Leitlinien nicht als verbindliche Standards, sondern eher als Empfehlungen; der medizinische Standard wird in rechtlichen Verfahren durch Sachverständige bestimmt und orientiert sich am Stand der Wissenschaft und bewährten Praktiken. Leitlinien stellen keine Lehrbücher dar. Sie sollten mit ihrer Erstellung jeweils relevante Versorgungsprobleme adressieren.

Das AWMF-Regelwerk dient als Qualitätsrahmen für die Erstellung und Bewertung der im Leitlinienregister geführten Leitlinien. Es wurde 2021 auf Version 2.0 und 2023 auf Version 2.1 aktualisiert und orientiert sich an internationalen Standards wie AGREE II und GRADE. Dieses Regelwerk stellt sicher, dass Leitlinien den hohen Qualitätsanforderungen entsprechen und als verlässliche Entscheidungshilfen im medizinischen Alltag eingesetzt werden können. Um die Qualität der Leitlinien zu fördern, bietet das IMWi methodische Werkzeuge und Anleitungen für die systematische Literaturrecherche und die Bewertung der Evidenzbasis von Studien.

Im AWMF-Leitlinienregister sind Leitlinien nach ihrem methodischen Ansatz klassifiziert: S1-Leitlinien: Expertengruppen erstellen einfache Handlungsempfehlungen; S2-Leitlinien: Basieren entweder auf systematischer Evidenzbewertung (S2e) oder auf dem Konsens eines repräsentativen Gremiums (S2k). S3-Leitlinien: Umfassen sowohl Evidenzbewertung als auch Konsens und gelten als die qualitativ hochwertigsten Leitlinien.

Die Erstellung einer S3-Leitlinie umfasst zahlreiche Schritte, von der Themenauswahl über die systematische Literaturrecherche und formalisierte Konsensverfahren bis hin zur externen Begutachtung und Veröffentlichung. So soll gewährleistet werden, dass Leitlinien dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen und praktische Relevanz haben.

Das IMWi arbeitet derzeit am Projekt „Dissolve-E“, das die Digitalisierung des AWMF-Leitlinienregisters zum Ziel hat. Ziel des Projekts ist die Schaffung eines offenen, leitlinienbasierten und vertrauenswürdigen Evidenz-Ökosystems. Durch die Digitalisierung sollen Leitlinien künftig leichter zugänglich und besser in den klinischen Alltag integrierbar werden, sodass Gesundheitsdienstleister jederzeit auf aktuelle Empfehlungen zugreifen können. Die Digitalisierung soll zudem die langfristige Aktualisierung und Erweiterung des Registers erleichtern und die Verfügbarkeit von Leitlinienwissen verbessern.

Die AWMF und das IMWi spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung, Qualitätssicherung und Digitalisierung medizinischer Leitlinien in Deutschland. Die Präsentation verdeutlicht die Bedeutung systematischer und qualitativ hochwertiger Leitlinien für die medizinische Versorgung und den Anspruch, diese fortlaufend weiterzuentwickeln und zu digitalisieren, um sie für alle Akteure im Gesundheitswesen zugänglich zu machen.

Uwe Zimmermann (Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH) informierte in seinem Referat über aktuelle Entwicklungen und Anpassungen im Akkreditierungsprozess für medizinische Laboratorien. Schwerpunkte sind organisatorische Änderungen, neue Prozesse bei der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) sowie internationale und digitale Entwicklungen.

Der „Expertenrat“ ist ein neues Gremium, das sich u.a. aus ehemaligen Mitgliedern der Sektorkomitees zusammensetzt und fachliche Fragestellungen bearbeitet. Ziel des Expertenrats ist es, den Wissensstand der jeweiligen Fachbereiche zu sichern und fachliche Expertise in den Akkreditierungsprozess zu integrieren. Darüber hinaus werden von der DAkkS veraltete Dokumente durch aktuelle Standards (Regeln) ersetzt. Es ist nicht Aufgabe der DAkkS, den Stand der Wissenschaft und Technik zu definieren. Dies muss in anderen Organisationen erfolgen, z.B. wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Deren Checklisten und Bewertungsdokumente können im Rahmen der Akkreditierung weiterhin genutzt werden, wobei Abweichungen nur gegen die Anforderungen der zugrundeliegenden Akkreditierungsnorm ggf. in Verbindung mit gesetzlichen Anforderungen möglich sind.

Ein bedeutender Fortschritt wird in der Einführung des DAkkS-Portals, das im Rahmen des „Onlinezugangsgesetzes“ entwickelt wurde, gesehen. Das Portal soll in den nächsten Stufen den gesamten Akkreditierungsprozess digitalisieren, was Effizienzsteigerungen, Bürokratieabbau und eine verbesserte Antragsbearbeitung zur Folge haben soll. Anträge können ab sofort digital eingereicht und verfolgt werden. Zudem erlaubt das Portal den digitalen Austausch von Dokumenten und formalen Schriftverkehr zwischen DAkkS und den akkreditierten Stellen, was zu einer medienbruchfreien Kommunikation beiträgt. Es ist kostenfrei für alle akkreditierten Stellen und soll die Benutzerfreundlichkeit sowie die Transparenz im Akkreditierungsprozess erhöhen.

Ein weiterer Teil der Digitalisierung ist das digitale Akkreditierungssymbol, die sogenannte eAttestation. Dieses System ermöglicht eine maschinenlesbare, manipulationssichere und elektronisch verifizierbare Darstellung der Akkreditierung und der digitalen Ergebnisberichte. Es stellt die Authentizität und Integrität der Berichte sicher und soll eine digitale Qualitätsinfrastruktur aufbauen, die es Kunden und Behörden ermöglicht, den Status der Akkreditierung digital zu überprüfen. Anträge zur Verwendung dieses digitalen Symbols können seit April 2024 gestellt werden.

Die Norm ISO 15189, die Anforderungen an die Qualität und Kompetenz medizinischer Laboratorien festlegt, wurde im August 2024 in einer geringfügig modifizierten deutschen Version veröffentlicht. Die Änderungen umfassen eine Anpassung von Übersetzungen und redaktionelle Klarstellungen sowie die Ergänzung des informativen Anhangs ZA. Dieser stellt die Verbindung zwischen der Norm und den rechtlichen Anforderungen her – hier die Verordnung (EG) Nr. 765/2008. Akkreditierungen, die auf der DIN EN ISO 15189:2023 basieren, bleiben gültig und sind gleichwertig, da es sich bei der 2024-Version im normativen Teil lediglich um eine aktualisierte Übersetzung der ISO 15189:2022 handelt. Die DAkkS informierte betroffene Laboratorien darüber, dass sie keine erneute Begutachtung für die Veränderung von der Version 2023 auf die Version 2024 benötigen.

Die European Accreditation (EA) und die International Laboratory Accreditation Cooperation (ILAC) haben neue Regelungen zur Akkreditierung flexibler Geltungsbereiche veröffentlicht. Die EA fordert seit April 2020, dass Labore, die eine flexible Akkreditierung besitzen, eine aktuelle Liste der akkreditierten Verfahren öffentlich zugänglich machen. Dies dient der Transparenz und hilft, den vollen Geltungsbereich einer Akkreditierung für alle relevanten Akteure offenzulegen. Für Deutschland basiert diese Regelung auf dem Akkreditierungsstellengesetz (AkkStelleG), welches sicherstellt, dass Akkreditierungsinformationen stets aktuell und öffentlich verfügbar sind.

In der Präsentation wird dargelegt, dass die DAkkS umfassende Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und Digitalisierung im Akkreditierungsprozess ergriffen hat. Die Einführung des DAkkS-Portals, das digitale Akkreditierungssymbol und die Anpassung der ISO 15189 sind Schritte, die eine moderne und nutzerfreundliche Akkreditierungslandschaft schaffen sollen. Internationale Vorgaben zur Transparenz und Flexibilisierung werden in den deutschen Akkreditierungsprozess integriert, was langfristig die Qualität und Transparenz der medizinischen Laboratorien in Deutschland steigern wird.

Die AWMF betont die Bedeutung einer engen fachlichen Zusammenarbeit zwischen den wissenschaftlichen Fachgesellschaften innerhalb der AWMF und der DAkkS bei der Feststellung und Formulierung des Standes von Wissenschaft und Technik in jeweiligen Themengebieten.

Alexander Golfier (Bundesärztekammer – BÄK) behandelte in seiner Präsentation die Rolle und Grenzen von Normen in der Medizin. In seinem Vortrag hob er die hohe Relevanz technischer Normen für Medizinprodukte, inklusive In-vitro-Diagnostika, für die Patientensicherheit hervor und wies auf die problematische Anwendung von Normen für Gesundheitsdienstleistungen und hier insbesondere für ärztliche Tätigkeiten hin.

Technische Normen sogen für zuverlässige In-vitro-Diagnostika und andere Medizinprodukte und sichere medizinische Verfahren in diesen Bereichen und sind insofern unverzichtbar. Die BÄK bringt sich zu diesem Zweck seit langem aktiv in das technische Normungsgeschehen national (Deutsches Institut für Normung – DIN) und international (CEN und ISO) ein. Im DIN-Normenausschuss Gesundheitstechnologien – NA GesuTech (fusioniert aus dem NA Medizin und dem Normenausschuss Rettungsdienst und Krankenhaus) stellt die BÄK mit Herrn Golfier den stellvertretenden Vorsitzenden.

Die BÄK hat jedoch hinsichtlich der Normung von Gesundheitsdienstleistungen große Vorbehalte und lehnt die Normung von ärztlichen Tätigkeiten, z.B. die DIN EN 16372 Dienstleistungen in der ästhetischen Chirurgie (Aesthetic surgery services), kategorisch ab [4].

Normen sind aus Sicht der Ärzteschaft weder ein erforderliches noch ein geeignetes Instrument für den Bereich von Gesundheitsdienstleistungen und insbesondere für den komplexen Bereich originär ärztlicher Tätigkeiten, durch das die Qualität der Leistungserbringung gesichert oder verbessert werden könnte. Die Kritik an der Normung von Gesundheitsdienstleistungen und insbesondere ärztlichen Tätigkeiten wurde bereits im Jahr 2015 durch eine Stellungnahme der Bundesärztekammer im Detail dargelegt.

Die Kritik an der Normung von Gesundheitsdienstleistungen wird von praktisch allen im Gesundheitswesen relevanten Organisationen und Verbänden getragen, z.B. (aber bei Weitem nicht abschließend) den Spitzenorganisationen der Deutschen Sozialversicherung, dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), der BÄK, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dem Bundesverband der Freien Berufe e.V., dem Europäischen Gewerkschaftsbund (ETUC), dem Ständigen Ausschuss der Europäischen Ärzte (CPME) und dem Weltärztebund.

In Deutschland fällt die Zuständigkeit für Dienstleistungsnormen in den Bereich des DIN-Normenausschusses Dienstleistungen (NADL). Aus diesem Grund engagiert sich die BÄK seit Jahren auch in diesem wichtigen DIN-Gremium und stellt aktuell mit Herrn Golfier den NADL-Vorsitzenden.

Die Anwendung von Normen ist grundsätzlich freiwillig. Allerdings kann die Anwendung von Normen in privatrechtlichen Verträgen, in staatlichen Verordnungen oder auf anderem Wege verbindlich festgeschrieben werden. Eine besondere Normungskategorie der EU stellen „harmonisierte Normen“ dar, die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben und auch finanziert werden. Bei Unternehmen, welche solche harmonisierten Normen anwenden, besteht die Vermutungswirkung, dass die von der EU verlangten technischen Anforderungen erfüllt sind. Gleichwohl ist auch die Anwendung von harmonisierten Normen freiwillig.

Die Normung bietet nicht nur sicherheitstechnische, sondern auch wirtschaftliche Vorteile. Für Deutschland wird, bezogen auf den Zeitraum 2002 bis 2006, der gesamtwirtschaftliche Nutzen der Normung auf jährlich etwa 17 Milliarden Euro geschätzt. Mittlerweile dürfte der jährliche Nutzen deutlich höher sein. Unternehmen profitieren dabei nicht nur von den durch Normen gesetzten Standards für Sicherheit und Qualität, sondern auch von der Möglichkeit, eigene Technologien in Normungsprozesse einzubringen und so den Markt mitzugestalten. Normen stärken grundsätzlich den internationalen Handel und werden als Sprache des Welthandels eingestuft.

Neben den Normen wird auch das Standardisierungsprodukt „DIN SPEC“ vorgestellt, das einen zunehmendem Stellenwert im Standardisierungsgeschehen einnimmt. Laut DIN kann ein DIN SPEC-Standard innerhalb weniger Monate unkompliziert erarbeitet und anschließend von DIN national und/oder international veröffentlicht werden. Bei erfolgreichen DIN SPEC-Standards können diese als Grundlage für ein Normprojekt dienen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass eine DIN SPEC – wie dies aus Sicht der BÄK, der KBV und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) auf die DIN SPEC 91460 – „Delir-Management in stationären Einrichtungen“ zutrifft – in seltenen Fällen mit Mängeln behaftet ist. Die Überführung in eine Norm der DIN SPEC 91460 wurde bereits vorab seitens der BÄK, der KBV und der AWMF zurückgewiesen. Grundsätzlich sind DIN SPEC-Standards aber durchaus zu begrüßen, da innovative Produkt- oder Dienstleistungsideen schnell umgesetzt werden können.

Auch die AWMF teilt die Auffassung, dass technische Normen für Medizinprodukte/In-vitro-Diagnostik-Produkte einen großen Beitrag zur Qualitätssicherung beitragen. Die Normung von Gesundheitsdienstleistungen/ärztlichen Tätigkeiten hingegen ist auch aus Sicht der AWMF mit erheblichen Risiken verbunden, da sie den dynamischen und individuellen Anforderungen der medizinischen Praxis nicht gerecht werden können. Normen im medizinischen Kontext müssen differenziert betrachtet werden und dürfen nur dort angewandt werden, wo sie den komplexen Anforderungen der ärztlichen Tätigkeit nicht im Wege stehen.

Das Webinar fand am 9. Oktober 2024 statt und wurde von etwa 170 Teilnehmern verfolgt. Auf der AWMF-Website sind die Präsentationsfolien aller Beiträge einzusehen (https://www.awmf.org/die-awmf/veranstaltungen/symposien).

Anmerkungen

Interessenskonflikte

Die Autorinnen und Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

[1] Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission. Amtsblatt der Europäischen Union. 2017;L 117:176-332.
[2] Verordnung (EU) 2024/1860 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 zur Änderung der Verordnungen (EU) 2017/745 und (EU) 2017/746 hinsichtlich der schrittweisen Einführung von Eudamed, der Informationspflicht im Falle einer Unterbrechung oder Beendigung der Versorgung und der Übergangsbestimmungen für bestimmte In-vitro-Diagnostika. Amtsblatt der Europäischen Union. 2024;1860. Available from: https://eur-lex.europa.eu/eli/reg/2024/1860/oj
[3] Vogeser M, Brüggemann M, Stenzinger A; AWMF. AWMF statement on medical services in laboratory diagnostics and pathology with regard to the IVDR. Clin Chem Lab Med. 2024 Mar 11;62(8):e173-e174. DOI: 10.1515/cclm-2024-0254
[4] Golfier A, Glorius C, Diel F, Kopp I, Spies C, Zorn U. Normen im Gesundheitswesen: Zwischen Hilfe und Fremdbestimmung. Dtsch Arztebl. 2023;120(31-32):A-1314/B-1128.