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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

2366-5017


Dies ist die deutsche Version des Artikels. Die englische Version finden Sie hier.
Leitartikel
Leitartikel

[„Biggs Bang“ – wann Alignment richtig zündet]

 Thomas Rotthoff 1

1 Universität Augsburg, Medizinische Fakultät, Medizindidaktik und Ausbildungsforschung (DEMEDA), Augsburg, Deutschland




Leitartikel

In der Entwicklung medizinischer Curricula gilt das Prinzip des Constructive Alignment als zentral für erfolgreiches Lehren, Lernen und Prüfen. In der Praxis liegt der Fokus meist auf dem Alignment – also der inhaltlichen und methodischen Abstimmung von Lernzielen, Lehrformaten und Prüfungen. Der Begriff Constructive wird dabei oft mehr implizit und attributiv im Sinne von „konstruierend“ verstanden: das Curriculum wird so konstruiert, dass Lernziele, Lehrformate und Prüfungen kohärent aufeinander abgestimmt sind. Der Begriff Constructive Alignment, der maßgeblich John Biggs zugeschrieben wird [1], bezieht sich jedoch lerntheoretisch auf den Konstruktivismus und versteht Lernen als einen fortschreitenden Prozess der Strukturierung von Inhalten sowie der Entwicklung eines tieferen Verständnisses durch die Lernenden. Demnach kommt es in Lernprozessen nicht primär nur auf die Inhaltsvermittlung an, sondern auf die Schaffung von Handlungssituationen, in denen Beziehungen zwischen den Wissenselementen und deren Zusammenhänge entwickelt werden [1]. Lernende sollen Wissen selbst aktiv aufbauen, indem sie bedeutungsvolle Lernaktivitäten durchführen. Entsprechend ist neben der Definition, was ein Lernender wissen oder können soll auch relevant, wie tief und komplex das Wissen oder Verständnis ist, das jemand zeigt [2].

Die Bedeutungsverschiebung des Begriffs Constructive von konstruktivistisch zu konstruierend wird in Europa maßgeblich der Bologna-Reform und der Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Hochschulrahmens zugeschrieben [3]. In diesem Kontext wurde der Blick verstärkt auf die Lernergebnisse (Outcomes) und weniger – wie ursprünglich von Biggs intendiert – auch auf die Prozesse des Lehrens und Lernens gerichtet. Auch wenn das Medizinstudium in Deutschland formal nicht Teil des Bologna-Prozesses ist, orientiert es sich mit der im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) verankerten Kompetenzorientierung vergleichbar an definierten Outcomes. In der medizinischen Ausbildung werden die Outcomes heute meist gezielt mit passenden Lehr- und Prüfungsformaten im Sinne des Alignments verknüpft. Doch was in diesen Formaten tatsächlich an Lehr- und Lernprozessen geschieht, gerät dabei zunehmend aus dem Fokus. Die alleinige Zuordnung eines Lehrformates zu einem Lernziel bedeutet nicht zwangsläufig, dass im Rahmen der Durchführung auch wirklich aktivierendes Lernen erfolgt. Es besteht vielmehr und zunehmend der Eindruck, dass die Kompetenzorientierung im Medizinstudium bereits durch die wiederholte Verwendung des Begriffs und die damit verbundene Definition von Kompetenzen und Outcomes postuliert wird, ohne dass sich diese zwangsläufig in der tatsächlichen Ausgestaltung der Lehrveranstaltungen umfänglich widerspiegelt. Entscheidend ist dagegen vielmehr, was in den jeweiligen Lehrveranstaltungen tatsächlich passiert und wie dort das Lernen angeregt wird. Bei aktivierendem Lernen sind Attribute wie Analyse und Synthese, Anwenden und kritisches Reflektieren, Korrekturen von Fehlvorstellungen, Infragestellen etablierter Deutungen oder auch motivationale Attribute wie Autonomie und Kompetenzerleben unterrichtsleitend. Kompetenzerwerb ist im Medizinstudium ein komplexer Prozess, der auf verschiedenen Ebenen und auf verschiedenen Wegen stattfindet [4], für die sich besonders Lehrformate eigenen, die aktives, reflexives und kontextgebundenes Lernen fördern. Ob tiefergehende Denkprozesse in der Lehre tatsächlich angeregt werden, hängt dabei ganz wesentlich auch von der didaktischen Kompetenz der Lehrperson ab [5]. Gute Lehrpersonen können wichtige Konzepte und Inhalte ihres Faches anschaulich und verständlich darstellen, geeignete Aufgaben- und Problemstellungen stellen, Lernprozesse aktivieren und steuern, den Lernfortschritt beobachten und Rückmeldungen geben und damit die Lernergebnisse der Studierenden beeinflussen [5]. Dafür braucht es neben fachlicher Expertise auch didaktische Kompetenz. Bei großen Studierendenzahlen erfordern die für die Kompetenzentwicklung besonders geeigneten Kleingruppenformate zahlreiche Gruppen, die oft parallel zur Krankenversorgung stattfinden und in der Regel auf viele Ärztinnen und Ärzte als Lehrende verteilt werden. Oft verfügen diese jedoch über keine didaktische Ausbildung und jungen Ärztinnen und Ärzten zu Beginn ihrer Weiterbildung fehlt zudem noch die klinische Expertise. Mit Blick auf die anstehenden Prüfungen wird daher oft versucht, die Lehrqualität durch eine möglichst weitgehende Standardisierung zu sichern – etwa indem verschiedene Lehrpersonen in unterschiedlichen Studierendengruppen dieselbe Präsentation verwenden. So sollen allen Studierenden identische Inhalte vermittelt, Effizienz erzeugt und den Lehrenden zugleich ein Gefühl von Sicherheit gegeben werden. Kognitiv anspruchsvolle und adaptive Lehrsituationen, die seitens der Lehrenden allerdings ein didaktisches Verständnis und Übung voraussetzen, werden unter diesen Bedingungen häufig verfehlt. In der Folge gehen sowohl die kreative Gestaltung der Lehrsituation als auch ein authentisch aktivierendes Lehren und Lernen verloren. Die Lehre läuft Gefahr lediglich exekutiert und zur reinen Instruktion zu werden [6].

Angesichts der derzeit starken Outcome-Fokussierung stellt sich die Frage, ob das Potenzial des Constructive Alignment in der medizinischen Ausbildung bereits vollständig ausgeschöpft wird – im Sinne einer konsequent kompetenzorientierten Lehre, die auf aktive Auseinandersetzung, Problemlösen, Diskutieren und Anwenden setzt. Klar ist: In den vergangenen Jahren hat die Medizindidaktik in Deutschland große Fortschritte gemacht. Die Qualifikation von Lehrenden zeigt spürbare Erfolge und hat deutlich an Bedeutung gewonnen. An vielen Standorten ist eine medizindidaktische Ausbildung inzwischen selbstverständlicher und verbindlicher Bestandteil der Habilitation. Für eine nachhaltige und flächendeckende Verbesserung der Lehrqualität müssen jedoch mehr Lehrende einbezogen werden – mit dem Ziel, dass alle in ihrer jeweiligen Rolle über das nötige Wissen und die erforderlichen didaktischen Kompetenzen verfügen [7]. Aus fakultärer Perspektive heißt das, Lehrende didaktisch so zu qualifizieren, dass sie aktivierende Lernumgebungen gestalten und das Curriculum mitgestalten können [3], [8]. Gerade bei zunehmend begrenzten Ressourcen ist es entscheidend, die Finanzierung der Lehre in den Fakultäten so zu gestalten, dass sie wirkungsstarke Anreize für die didaktische Weiterentwicklung möglichst vieler Lehrender setzt. Gleichzeitig gilt: Personalintensive Lehrformate, die nicht effektiv genutzt werden, stellen auch aus ökonomischer Sicht eine wenig sinnvolle Verwendung von Ressourcen in der medizinischen Ausbildung dar. Constructive Alignment zündet erst richtig zum „Biggs Bang“, wenn Lehrende ihre Rolle umfassend und kompetent wahrnehmen – zum Vorteil der Studierenden und zu ihrer eigenen Zufriedenheit.

Die Relevanz der Kompetenzentwicklung von Lehrenden wird in mehreren Beiträgen dieser Ausgabe deutlich. Gehrke-Beck et al. [9] zeigen, dass bundesweit strukturierte Akkreditierungs- und Qualifizierungsprogramme erforderlich sind, um eine standortübergreifende Qualifizierung allgemeinmedizinischer Lehrpraxen sicherzustellen. Preti et al. [10] berichten, dass ein „Expertise Role Reversal“ – bei dem Lernende ihr Wissen einbringen und Lehrende zeitweise die Rolle der Lernenden übernehmen – die pädagogische Kompetenz stärken und eine offene, lernorientierte Lehrkultur fördern kann. Hennel et al. [11] empfehlen, in Feedback- und Prüfungssituationen überfachliche Aspekte wie berufliche Identitätsbildung und Karriereplanung stärker zu berücksichtigen. Hierfür kann Multisource-Feedback (MSF) individuelle Rückmeldungen aus unterschiedlichen Perspektiven liefern; um die Qualität dieser Rückmeldungen sicherzustellen, ist jedoch auch eine gezielte Weiterbildung der Lehrenden erforderlich. Diese Arbeiten unterstreichen, dass die kontinuierliche Professionalisierung der Lehrenden eine wichtige Voraussetzung für qualitativ hochwertige medizinische Lehre darstellt.

ORCID des Autors

Thomas Rotthoff: [0000-0002-5171-5941]

Einsatz von KI

Der Titel des Leitartikels wurde mittels Prompting in ChatGPT 5.0 entwickelt.

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

[1] Biggs J. Enhancing teaching through constructive alignment. High Educ. 1996;32(3):347-364. DOI: 10.1007/BF00138871
[2] Biggs JB, Collis KF. Origin and Description of the SOLO Taxonomy. In: Biggs JB, Collis KF, editors. Evaluating the quality of learning - the SOLO taxonomy (structure of the observed learning outcome). New York: Academic Press; 1982. p.24-25. DOI: 10.1016/B978-0-12-097552-5.50007-7
[3] Loughlin C, Lygo-Baker S, Lindberg-Sand Å. Reclaiming constructive alignment. Eur J High Educ. 2021;11(2):119-136. DOI: 10.1080/21568235.2020.1816197
[4] Schindler AK, Schindler C, Joachimski F, Eißner A, Krapp N, Rotthoff T. A framework for students’ competence development in undergraduate medical education. Beitr Hochschulforsch. 2021;43:162-174.
[5] van Dijk EE, van Tartwijk J, van der Schaaf MF, Kluijtmans M. What makes an expert university teacher? A systematic review and synthesis of frameworks for teacher expertise in higher education. Educ Res Rev. 2020;31:100365. DOI: 10.1016/j.edurev.2020.100365
[6] Jost L. Lernzielorientierung - Fortschritt oder Mode? In: Kordon B, editor. Lernzielpädagogik - Fortschritt oder Sachgasse? Gegen das Monopol eines Didaktikkonzeptes. 1st edition. Bad Heilbrunn/OBB: Julius Klinckhardt; 1981. p.47-55.
[7] van Lankveld T, Thampy H, Cantillon P, Horsburgh J, Kluijtmans M. Supporting a teacher identity in health professions education: AMEE Guide No. 132. MedTeach. 2021;43(2):124-136. DOI: 10.1080/0142159X.2020.1838463
[8] Kron FW, Jürgens E, Standop J. Grundwissen Didaktik. 7th edition. München: Ernst Reinhardt Verlag; 2024. p.234-235. DOI: 10.36198/9783838588025
[9] Gehrke-Beck S, Kitte I, Streitlein-Böhme I, Deutsch T, Demmer I, Gornostayeva M, Jendyk R. Accreditation and qualification of primary car teaching practices in Germany – a nationwide online survey of universities. GMS J Med Educ. 2025;42(5):Doc56. DOI: 10.3205/zma001780
[10] Preti BB, Browne CP, Sanatani MS, Watling CJ. “You’re a trainee telling your consultant to hold their question until later”: Using a resident-led faculty development workshop to explore trainee-consultant expertise role-reversal. GMS J Med Educ. 2025;42(5):Doc65. DOI: 10.3205/zma001789
[11] Hennel EK, Lahner FM, Zweifel N, Harendza S, Neuhaus K, Huwendiek S. Multiscource feedback in residency training. A quantitative study to investigate the feedback conversation. GMS J Med Educ. 2025;42(5):Doc67. DOI: 10.3205/zma001791