[Digitales Praktikum der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und Untersuchungstechnik „to go“]
Stefan Kaulitz 1Jonas Engert 1
Carolin Roos 1
Maike Filsinger 1
Sarah König 2
Stephan Hackenberg 1
1 Universitätsklinikum Würzburg, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen, Würzburg, Deutschland
2 Universitätsklinikum Würzburg, Institut für Medizinische Lehre und Ausbildungsforschung, Würzburg, Deutschland
Zusammenfassung
Zielsetzung: Die Entwicklung präsenzfreier Lehrformate für praktische Übungen stellt eine besondere Herausforderung dar. Zielsetzung des vorgestellten Projekts war die Umsetzung des Praktikums der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde zum Erlernen von Untersuchungstechniken durch digitale Fernlehre.
Methodik: Es wurde kostengünstig fachspezifisches Einmal-Instrumentarium für eine umfassende hals-nasen-ohren-ärztliche Spiegeluntersuchung angeschafft, welches den Studierenden zur Verfügung gestellt wurde. Als erforderliche Lichtquellen dienten alltagsgebräuchliche Sportstirnlampen oder Taschenlampenkonstruktionen. Die theoretischen Grundlagen wurden mittels der Lernplattform CaseTrain unter Einbeziehung von Foto-, Audio- und Videomaterial vermittelt. Entsprechende Erfolgskontrollen im Sinne eines digitalen Kurztestates wurden hier integriert. Des Weiteren dienten Video-Tutorials der genauen Darstellung der nachzuahmenden Untersuchungen. Zur Steigerung der Motivation wurde zudem ein kreativer Fotowettbewerb ausgeschrieben, bei dem die abschließend eigenständig durchgeführten praktischen Aufgaben kontrolliert wurden.
Ergebnisse: Sämtliche Studierende des Semesters erhielten ein Instrumentenset zur eigenständigen Praktikumsdurchführung. Das Eingangstestat wurde von allen Studierenden bestanden, ebenso ging von allen Studierenden mindestens ein Foto ein, viele gestalteten dieses im Rahmen des Wettbewerbs besonders kreativ.
Schlussfolgerung: Das vorgestellte Konzept stellt eine Möglichkeit zur Umsetzung praktischer Lehrformate auf ein digitales präsenzfreies Konzept dar. Es beinhaltete eine Vermittlung und Überprüfung von Grundlagenwissen, Anleitungen zu praktischen Übungen, die eigenständige Durchführung fachspezifischer Untersuchungstechniken und eine Motivationssteigerung und gleichzeitige Kontrolle durch Gamification. Wir erachten dieses Lehrprinzip als attraktive Option für zukünftige „Flipped Classroom“ Konzepte bei schrittweiser Wiederaufnahme von Präsenzlehre.
Schlüsselwörter
HNO, digitale Lehre, Untersuchungspraktikum, Propädeutik, Tutorial
1. Einleitung
Die SARS-CoV-2-Pandemie hat die medizinische Lehre vor Herausforderungen, aber auch in eine hohe Bereitschaft für neue Entwicklungsmöglichkeiten gestellt [1], [2]. Insbesondere Lehrformate, die praktische Übungen beinhalten, waren schwer durch digitale Fernlehre und entsprechende Prüfungen zu ersetzen [3]. Im folgenden Beitrag möchten wir ein Konzept der Umstellung eines Praktikums zum Erlernen der Hals-Nasen-Ohren-Untersuchungstechniken mit vorgeschaltetem Eingangstestat vorstellen.
2. Projektbeschreibung
Aufgrund der strengen Kontaktbeschränkungen in Bayern war die Durchführung des in der curricularen Lehre vorgesehenen HNO-Praktikums als Präsenzveranstaltung ausgeschlossen. Die Untersuchungen im Fachgebiet der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde erfordern neben einer zu untersuchenden Person (z.B. Peer) ein spezielles Instrumentarium. Über den Onlinehandel wurden Einmalinstrumente beschafft und ein Untersuchungs-Kit für die Studierenden zusammengestellt. Es beinhaltete ein Nasenspekulum, einen Ohrtrichter, einen Mundspatel und einen Larynxspiegel (Kosten: 1 €/Studierender; siehe Abbildung 1 [Abb. 1], Punkt a). Als erforderliche Lichtquelle konnten die Studierenden vorhandene Stirnlampen oder Taschenlampenkonstruktionen verwenden (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).
Abbildung 1: Untersuchungs-Kit zum Erlernen einer umfassenden hals-nasen-ohren-ärztlichen Spiegeluntersuchung im Rahmen der digitalen Fernlehre - Das Untersuchungs-Kit beinhaltete die folgenden Einmal-Instrumente: ein Nasenspekulum, einen Ohrtrichter, einen Mundspatel und einen Larynxspiegel (a). Das Instrumentarium konnte persönlich abgeholt oder über den Postweg zugestellt werden (b).
Abbildung 2: Exemplarische Durchführung einer Spiegeluntersuchung von HNO-erfahrenen PJ-Studierenden mit dem Untersuchungs-Kit – Durch Hinzuziehen einer externen Lichtquelle (bspw. Stirnlampe) konnte mit Hilfe des Untersuchungs-Kits eine fachgerechte Otoskopie (a), anteriore Rhinoskopie (b), Mundhöhleninspektion (c) und indirekte Laryngoskopie (d) durchgeführt werden. Die eigenständige Durchführung der Untersuchungsmethoden erfolgte durch Nachahmung der zur Verfügung gestellten Videotutorials.
Die Lehreinheit startete mit einem einführenden Informationsvideo über die Struktur und die Abläufe des digitalen Praktikums.
Die eigentliche Propädeutik-Vorlesung und das sonst mündlich geprüfte Eingangstestat wurden durch E-Learning-Fälle mittels der Lernplattform „CaseTrain“ [4] ersetzt. Diese wurde ursprünglich für praxisnahen Patientenfälle mit integrierten Testaten entwickelt. Foto-, Audio- und Videomaterial sind integrierbar. Die von Lehrbeauftragten, Ärztinnen und Ärzten sowie fortgeschrittenen Studierenden (Praktisches Jahr) interdisziplinär entwickelten Propädeutik-Fälle beinhalteten zehn Testat-Fragen (Bestehensgrenze 60%) zu Grundlagenwissen der HNO und zu den Untersuchungstechniken. Speziell erstellte Untersuchungsvideos (Tutorials) dienten den Studierenden zur detaillierten Vorbereitung der selbstständig durchzuführenden HNO-Untersuchung. Um in der asynchronen Lehre die Motivation für das Lernen zu erhöhen, wurde ein Fotowettbewerb ausgeschrieben, der gleichzeitig als Kontrolle für die Durchführung der praktischen Aufgaben diente (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]). Hierzu wurden nur Bilder verwendet, für die eine schriftliche Einverständniserklärung vorlag (freiwillig). Eventuell nicht lösbare Probleme bei den Untersuchungsübungen wurden im Rahmen von nachgeschalteten Videokonferenzen aufgearbeitet.
Abbildung 3: Beispiele der von den Studierenden eingereichten Beiträge im Rahmen des Fotowettbewerbs - Durch Gamification erfolgte die Durchführungskontrolle der Untersuchungsmethoden. Sowohl die Otoskopie (a+b), als auch die Mundinspektion und die indirekte Laryngoskopie (c+d) wurden auf unterschiedliche Art und Weise dargestellt. Diese Methode diente außerdem der Steigerung der Motivation der Studierenden, die den Arbeitsnachweis entweder auf eine möglichst präzise (a+d) oder kreative (b+c) Art erbrachten.
3. Ergebnisse
Die Untersuchungs-Kits wurden von fast allen Studierenden persönlich im Lehrsekretariat der Klinik abgeholt. Wenige Studierende, die das Semester außerhalb von Würzburg verbrachten, kümmerten sich entweder selbstständig um entsprechendes Untersuchungsmaterial oder erhielten das Instrumentarium auf dem Postweg (siehe Abbildung 1 [Abb. 1], Punkt b).
Das Eingangstestat wurde von allen Studierenden bestanden. Ebenso ging von allen Studierenden ein Foto der Untersuchungsübungen ein. Der Abbildung 3 [Abb. 3] und Abbildung 4 [Abb. 4] sind einige Umsetzungen im eigenen Gestaltungsumfeld zu entnehmen.
Abbildung 4: Gewinner des Fotowettbewerbs – Aufgrund der kreativen Umsetzung des Arbeitsauftrages in Kombination mit der Anspielung auf die SARS-CoV-2-Pandemie und den erforderlichen Mindestabstand entschied sich die interprofessionelle Jury für dieses Foto.
4. Diskussion
Unterrichtskonzepte basierend auf E-Learning für HNO-Praktika sind rar, obwohl der Bedarf zur Etablierung digitaler Lehrformate an deutschen HNO-Universitätskliniken sowohl für die studentische Lehre [5] als auch für die Facharztausbildung [6] bereits adressiert wurden.
Erklärtes Projektziel war, ein Lehr- und Prüfungskonzept für die Zeit ohne Präsenzlehre zu entwickeln. Das Format der E-Learning-Fälle, welches von Studierenden als äußerst effektiv und nützlich mit Blick auf „Blended Learning“ bewertet wurde [7], [8], ermöglichte in Kombination mit der Bereitstellung von Einmalinstrumenten die simultane Umsetzung der vorgenannten Aspekte.
Das entwickelte Format sollte beinhalten:
- Vermittlung und Prüfung von Grundlagenwissen,
- Anleitung zu praktischen Übungen (Modelllernen über Videotutorials),
- eigenständige Durchführung der Übungen durch Nachahmung,
- Motivation und Durchführungskontrolle durch Gamification (Fotowettbewerb).
Darüber hinaus kann es die Grundlage für den zukünftigen Unterricht nach dem Prinzip des „Flipped Classrooms“ darstellen, wenn Präsenzlehre in einer Hybridversion während der Niedrigprävalenzphase von SARS-CoV-2 mit Augenmaß und Teilen wiederaufgenommen werden kann. Der „Flipped Classroom“ integriert didaktische Inhalte effektiver in den medizinischen Alltag von Lernenden und Lehrenden [9].
Videodemonstrationen sind effizient zum Erlernen praktisch-medizinischer Fähigkeiten einsetzbar [10], [11]. Studien, die das Erlernen eines HNO-Untersuchungsgangs durch Präsenzlehre mit digitaler Lehre vergleichen, sind in der Literatur bislang nicht beschrieben. Eine Studie mit kanadischen Medizinstudierenden zum Management der Epistaxis zeigte ein signifikant besseres Abschneiden eines computergestützten Lehrmoduls im Vergleich zu textbasierten Methoden [12]. Ein Vergleich zur Wissensvermittlung über HNO-Notfälle zwischen traditioneller Präsenzlehre und E-Learning-basierter Methoden zeigte keinen signifikanten Qualitätsunterschied [13]. Diese Daten zeigen, dass eine Lehre klinischer Skills auch sinnvoll digital erfolgen kann. Bei Wiederaufnahme der Präsenslehre könnte der hier vorgestellte Case-Train inklusive der Vorübungen der Untersuchungstechniken in Verbindung mit dem darauf aufbauenden Praktikum der HNO-Heilkunde als „Flipped Classroom“ neue Potentiale ausschöpfen [14].
Digitale Lehrinhalte stellen dabei die tragende Säule in der Vermittlung theoretischer Grundlagen dar, auf Basis derer anschließend problemorientierte und fallbasierte Präsensveranstaltungen aufbauen [15]. Die Effektivität dieser Lehre muss im Verlauf anhand der Prüfungsergebnisse und der praktischen Kompetenz (bspw. OSCE) der Studierenden evaluiert werden.
Die Wahl, durch Gamification (hier Fotowettbewerb) zu motivieren und die Durchführung der praktischen Übungen zu kontrollieren, bewährte sich und deckte sich mit den in der Literatur berichteten Erfahrungen [16].
Interessenkonflikt
Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
[1] Ferrel MN, Ryan JJ. The Impact of COVID-19 on Medical Education. Cureus. 2020;12(3):e7492. DOI: 10.7759/cureus.7492[2] Rose S. Medical Student Education in the Time of COVID-19. JAMA. 2020;323(21):2131-2132. DOI: 10.1001/jama.2020.5227
[3] Moran J, Briscoe G, Peglow S. Current Technology in Advancing Medical Education: Perspectives for Learning and Providing Care. Acad Psychiatry. 2018;42(6):796-799. DOI: 10.1007/s40596-018-0946-y
[4] Hörnlein A, Ifland M, Kluegl P, Puppe F. Konzeption und Evaluation eines fallbasierten Trainingssystems im universitätsweiten Einsatz (CaseTrain). GMS Med Inform Biom Epidemiol. 2009;5(1):Doc07. DOI: 10.3205/mibe000086
[5] Freiherr von Saß P, Klenzner T, Scheckenbach K, Chaker A. Einsatz von E-Learning an deutschen Universitäts-HNO-Kliniken. Laryngorhinootologie. 2017;96(03):175-179. DOI: 10.1055/s-0042-117640
[6] Shabli S, Heuermann K, Leffers D, Kriesche F, Abrams N, Yilmaz M, Klussmann JP, Guntinas-Lichius O, Beule AG. Umfrage zum Bedarf einer e-Learning-Plattform für Ärzte in der HNO-Facharzt-Weiterbildung. Laryngorhinootologie. 2019;98(12):869-876. DOI: 10.1055/a-1025-2024
[7] Diessl S, Verburg FA, Hoernlein A, Schumann M, Luster M, Reiners C. Evaluation of an internet-based e-learning module to introduce nuclear medicine to medical students: a feasibility study. Nucl Med Commun. 2010;31(12):1063-1067. DOI: 10.1097/MNM.0b013e328340821f
[8] Huwendiek S, Muntau AC, Maier EM, Tönshoff B, Sostmann K. E-Learning in der medizinischen Ausbildung. Monatsschr Kinderheilkunde. 2008;156(5):458-463. DOI: 10.1007/s00112-008-1737-4
[9] Tolks D, Schäfer C, Raupach T, Kruse L, Sarikas A, Gerhardt-Szép S, Kllauer G, Lemos M, Fischer MR, Eichner B, Sostmann K, Hege I. An introduction to the inverted/flipped classroom model in education and advanced training in medicine and in the healthcare professions. GMS J Med Educ. 2016;33(3):Doc46. DOI: 10.3205/zma001045
[10] Hansen M, Oosthuizen G, Windsor J, Doherty I, Greig S, McHardy K, McCann L. Enhancement of medical interns' levels of clinical skills competence and self-confidence levels via video iPods: pilot randomized controlled trial. J Med Internet Res. 2011;13(1):e29. DOI: 10.2196/jmir.1596
[11] Padmavathi R, Omprakash A, Kumar AR. Video demonstration as a teaching-learning method for a core clinical skill among undergraduate medical students: An interventional study. Nat J Physiol Pharm Pharmacol. 2019;9:547-550.
[12] Glicksman JT, Brandt MG, Moukarbel RV, Rotenberg B, Fung K. Computer-assisted teaching of epistaxis management: a Randomized Controlled Trial. Laryngoscope. 2009;119(3):466-472. DOI: 10.1002/lary.20083
[13] Alnabelsi T, Al-Hussaini A, Owens D. Comparison of traditional face-to-face teaching with synchronous e-learning in otolaryngology emergencies teaching to medical undergraduates: a randomised controlled trial. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2015;272(3):759-763. DOI: 10.1007/s00405-014-3326-6
[14] Bergmann J, Sams A. Flip your classroom: Reach every student in every classroom every day. Washington, DC: International Society for Technology in Education; 2012.
[15] Prober CG, Heath C. Lecture halls without lectures--a proposal for medical education. N Engl J Med. 2012;366(18):1657-1659. DOI: 10.1056/NEJMp1202451
[16] Lewis ZH, Swartz MC, Lyons EJ. What's the Point?: A Review of Reward Systems Implemented in Gamification Interventions. Games Health J. 2016;5(2):93-99. DOI: 10.1089/g4h.2015.0078