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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

2366-5017


Dies ist die deutsche Version des Artikels. Die englische Version finden Sie hier.
Gewusst wie
Resilienz

[Stressreduktion, Resilienzstärkung und Selbstfürsorge bei Medizinstudierenden durch Mind-Body-Medizin (MBM)]

 Benno Brinkhaus 1
Barbara Stöckigt 1
Claudia M. Witt 1
Miriam Ortiz 1
Markus Herrmann 2
Daniela Adam 1
Peter Vogelsänger 2


1 Charité – Universitätsmedizin Berlin, Korporatives Mitglied der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Berlin, Deutschland
2 Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Institut für Allgemeinmedizin, Magdeburg, Deutschland

Zusammenfassung

Stressbedingte Erkrankungen nehmen bei Medizinstudierenden und Ärzt*innen in Deutschland und international zu. Verfahren der Mind-Body-Medizin (MBM) werden zunehmend zur Stressreduktion eingesetzt. Studierenden werden MBM- Kurse zunehmend auch an medizinischen Hochschulen in Deutschland angeboten, unter anderem an der Charité - Universitätsmedizin Berlin und in den Medizinischen Fakultäten der Universität Magdeburg, Witten-Herdecke, Essen und Ulm. Die Kursangebote in Berlin und Magdeburg werden in diesem Artikel exemplarisch vorgestellt. Darüber hinaus wurde der Charité-Kurs auch bei Mitarbeitenden (Ärzt*innen und Pflegekräfte) einer Charité-Intensivstation durchgeführt.

Die Studierenden-Kurse beider medizinischer Hochschulen wurden begleitend evaluiert. Die Ergebnisse der Analysen zeigten bei 117 Charité-Studierenden eine Verringerung des wahrgenommenen Stresses und eine Steigerung von Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit, Selbstreflexion und Empathie, bei 69 untersuchten Studierenden aus Magdeburg fand sich eine Verbesserung der Achtsamkeit (FFA) und des Selbstmitgefühls (SCS-D).

In den Fokusgruppen berichteten die Studierenden an der Charité zudem über bessere Fähigkeiten zur Selbstregulierung von Stresserfahrungen, persönliches Wachstum und neue Einsichten in die Integrative Medizin.

Die weitere Implementierung von MBM-Kursen an deutschsprachigen medizinischen Hochschulen erscheint sinnvoll. Darüber hinaus sollte eine standortübergreifende Vernetzung von MBM-Kursen erfolgen, um sich inhaltlich abzustimmen und eine gemeinsame Evaluation mit standardisierten Messinstrumenten an einem größeren Teilnehmendenkollektiv durchzuführen. Zusätzlich wäre die Durchführung von randomisierten kontrollierten Studien zur Untersuchung der Wirksamkeit von MBM-Kursen zielführend.


1. Hintergrund

Stressbedingte Erkrankungen wie Schlafstörungen, Erschöpfungssyndrome, Burn out bzw. Depressionen sind bei Medizinstudierenden und Ärzt*innen in Deutschland und international häufig [1], [2], [3]. In einer bei Medical Residents (Ärzt*innen in Weiterbildung) durchgeführten US-amerikanischen Studie zeigten 45% bis 75% der Untersuchten Burn out-Symptome [3], in einer weiteren Studie zeigten ca. 29% der untersuchten Ärzt:innen depressive Symptome [4]. Die mittlere Prävalenzrate von depressiven Symptomen oder Depression bei Medizinstudierenden wurde in einer systematische Übersichtsarbeit in 183 Studien aus 43 Ländern mit 27% angegeben [5]. Darüber hinaus nimmt die Burn-out -Belastung im Laufe des Studiums und zu Beginn der Weiterbildung zu [5], [6] zu. Das hat gravierende psychische und physische Folgen für die Betroffenen und deren soziales Umfeld. So machen beispielsweise gestresste oder gar depressive Ärzt*innen, die weniger empathisch sind und unkonzentriert arbeiten, sechsmal so häufig Behandlungsfehler als nicht depressive Kolleg*innen [7]. Bei Studierenden im klinischen Abschnitt ließ sich ein Rückgang der Empathiefähigkeit beobachten [8], [9], ein Phänomen, das auch als „The Devil is in the Third Year“ beschrieben wurde [10]. Doch nicht nur der Verlust von Empathiefähigkeit, sondern auch die gesundheitlichen Belastungen von Medizinstudierenden und jungen Ärzt*innen geben Anlass zur Sorge und zum Handeln (s. o.), ein Thema, dass bereits seit mehr als einer Dekade aufgrund der Dringlichkeit diskutiert wird. Die 2017 revidierte Deklaration von Genf verpflichtet Ärzt*innen, auf ihre eigene Gesundheit, ihr Wohlergehen und ihre Fähigkeiten zu achten, auch um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können. Die Deutsche Ärzteschaft nahm sich der Problematik mit einem Schwerpunktthema auf dem Deutschen Ärztetag in Münster 2019 und mit einem Schwerpunktheft im Deutschen Ärzteblatt an [1].

Verfahren der Mind-Body-Medizin (MBM) werden zunehmend zur Stressreduktion und zur Verbesserung der individuellen Resilienz eingesetzt. Resilienz ist der Prozess und das Ergebnis der erfolgreichen Anpassung an schwierige oder herausfordernde Lebenserfahrungen, insbesondere durch mentale, emotionale und verhaltensbezogene Flexibilität und Anpassung an externe und interne Anforderungen [https://www.apa.org/topics/resilience]. Ziel dieses Artikels ist die Darstellung der Entwicklung der MBM, ebenso wie die exemplarische Darstellung der Implementierung von Kursangeboten an zwei medizinischen Hochschulen und deren positiven Evaluationsergebnisse.

Mind-Body-Medizin ist ein innovatives, integratives Konzept, das den Körper mit der Psyche verbindet, Selbstfürsorge vermittelt und sowohl präventiv als auch therapeutisch eingesetzt werden kann. Durch multimodale Therapiekonzepte sollen Symptome reduziert und die Selbstwirksamkeit gestärkt werden [https://sfmbm.org/].

1.1. Die Entwicklung der Mind-Body-Medizin

Körper und Geist stärkende Praktiken bilden eine große und vielfältige Gruppe von evidenzbasierten oder -informierten Verfahren oder Techniken, die von in MBM ausgebildeten Therapeut*innen (z.B. Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen aber Angehörige anderer Berufsgruppen), zur Prävention und Therapie eingesetzt werden. Beispiele sind u. a. Achtsamkeitsmeditation, Autogenes Training, Tai-Chi und Yoga. Mind-Body-Medizin ist eine junge Disziplin. In den 1970er und 80er Jahren [11] wurde in den USA Therapiekonzepte in der Verhaltensmedizin entwickelt, die zum Teil einer modernen, aus der Naturheilkunde als therapeutisches Element bekannten Ordnungstherapie entsprechen bzw. diese ergänzen [12]. Einige Techniken, wie z.B. Meditation, haben ihren Ursprung in Jahrhunderte alten traditionellen Heilsystemen und Religionen, wurde aber im Rahmen der MBM dekontextualisiert und säkularisiert. Zu den Gemeinsamkeiten zwischen Ordnungstherapie und MBM gehören ein ganzheitliches Menschenbild (bio-psycho-sozial-spirituell) sowie der salutogenetische d. h. vor allem ressourcenorientierte Behandlungsansatz [12]. Das Konzept wurde in den 1990er Jahren vom National Institute of Health in Washington D.C. unter dem Begriff Mind-Body Medicine zusammengefasst [12].

Kombiniert und ergänzt werden die MBM-Verfahren häufig mit einer Bewegung- und Ernährungstherapie sowie mit lebensstilverändernden Maßnahmen, wie z.B. in den unten dargestellten Kursen.

Die therapeutische Praxis von Achtsamkeit und Meditation lässt sich verschiedenen Bereichen der Medizin und Psychologie zuordnen. Dazu gehören die MBM [13], [14] und, wie schon erwähnt die naturheilkundliche Ordnungstherapie die Psychosomatische Medizin und Psychotherapie inklusive der Verfahren der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie. Dabei sind achtsames Handeln, die Praxis der Meditation wie auch die durch diese vermittelten Effekte und Haltungen schon sehr lange Teil menschlicher Erfahrung und werden z.T. seit Jahrtausenden entwickelt, kultiviert und bewahrt. So finden sich in der Medizin der Antike z.B. bei Hippokrates in der so genannten „Diaita-Lehre“, Anleitungen zur gesunden Lebensführung [12]. Die ersten Spuren einer modernen Mind-Body-Medizin lassen sich u. a. bis in das Berlin der 20er und frühen 30er Jahre des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen [15], [16]. In den frühen 70er Jahren setzt in den USA die systematische Forschung [17], [18] und die Entwicklung von achtsamkeitsbasierten Programmen [15], [19] ein. Programme wie z.B. MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction), MBCT (Mindfulness Based Cognitive Therapy), DBT (Dialektisch Behaviorale Therapie) und ACT (Acceptance and Commitment Therapy) [20] sind wie auch MBRP (Mindfulness Based Relapse Prevention) heute ein weit verbreiteter und mittlerweile immer besser erforschter Teil der Medizin und Psychologie. Sie finden u. a. bei der Behandlung von chronischem Stress und chronischen Schmerzen, von Depressionen und Ängsten, Suchterkrankungen [21] wie auch von funktionellen Störungen und chronischen Entzündungen des Magen-Darm-Traktes Anwendung [22], [23]. Eine mittlerweile umfangreiche Forschung belegt die Effekte achtsamkeitsbasierter Praxis auf zentralnervöser [24] und zellulärer Ebene (z.B. Bhasin et al. [25]).

Als Meilenstein der Grundlagenforschung, die es nun erlaubt, einer Praxis von Achtsamkeit und Meditation eine naturwissenschaftliche Legitimierung zu geben, kann das so genannte ReSource-Projekt des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften Leipzig gesehen werden, das bisher wohl umfangreichste Forschungsprojekt zu beobachtenden Effekten während der Meditationspraxis [26]. Bereits in Vorstudien wurden funktionelle und strukturelle Unterschiede zwischen dem gerade für soziale Berufe und Burn-out-Phänomene relevanten „Schmerz-Empathie-Netzwerk“ und dem „Mitgefühlsnetzwerk“ entdeckt [27], [28]. Das so genannte ReSource-Training zielt u. a. darauf ab, mentale Gesundheit und soziale Kompetenzen zu verbessern, um z.B. Stress zu reduzieren, mehr geistige Klarheit zu erlangen, die Lebenszufriedenheit zu steigern sowie andere Menschen besser verstehen zu lernen [https://www.resource-project.org/]. Durch eine ausreichend lange und regelmäßige Meditationspraxis lässt sich u. a. eine Reduktion des Stresskortisolspiegels, eine Verbesserung der Aufmerksamkeit und des Körpergewahrseins, des Mitgefühls und der Fähigkeit zur Perspektivübernahme erreichen [29].

2. Kursangebote an der Berliner Charité und der Medizinischen Fakultät in Magdeburg

Mittlerweile werden Studierenden Mind-Body-Medizin Kurse in einigen medizinischen Hochschulen in Deutschland angeboten, unter anderem an der Charité - Universitätsmedizin Berlin und der Medizinischen Fakultät der Universität Magdeburg aber auch an den Universitäten in Essen, Witten-Herdecke und Ulm, eine kurze Kursbeschreibung findet sich im Anhang 1 [Anh. 1].

Der seit dem Wintersemester 2010/2011 am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité – Universitätsmedizin Berlin angebotene Mind-Body- Medizin/Stressreduktions-Kurs an der Charité folgt dem Mind-Body-Medicine Skills (MBMS)- Kurskonzept der Georgetown Universität in Washington [30] und richtet sich an Studierende der Medizin sowie anderer Gesundheitsberufe, die an der Charité studieren. Dieser fakultative Kurs findet in Kleingruppen von ca. 10 Teilnehmenden statt. Die Gruppe trifft sich über ein Semester regelmäßig an 10 Terminen für jeweils zwei Stunden, unter der Anleitung von zwei ausgebildeten und erfahrenen Dozierenden (Ärzt*innen, Psycholog*innen und Vertreter*innen anderer Gesundheitsberufe, die entsprechend ausbildet wurden und mindestens an einem Kurs teilgenommen haben), die den gesamten Kurs kontinuierlich begleiten und auch an den Übungen bzw. Reflexionen teilnehmen. Die Kursteilnehmenden lernen verschiedene Verfahren der Mind-Body-Medizin, wie z.B. Autogenes Training, Achtsamkeits- und Konzentrationsmeditationen, Bewegungsmeditationen, Essmeditationen und Metta-Meditationen kennen. Diese individuelle Einführung soll einen tieferen Einblick in die Thematik verschaffen sowie die Möglichkeit eines Erfahrungsaustausches bieten. Zentrales Element des Kurses ist der Austausch und die gemeinsame Reflexion der Erfahrungen nach der gemeinsamen Praxis, wodurch am Ende des Kurses in der Regel eine positive Gruppendynamik entsteht und die Teilnehmenden des Kurses zunehmend auch ihre beruflichen und z.T. privaten Erfahrungen insbesondere im Umgang mit Stress, teilen. Begleitend zum Kurs wird den Teilnehmenden empfohlen, sich selbstfürsorglich und empathisch zur Umwelt zu verhalten und neben der häuslichen Durchführung der gelernten Meditationen sich regelmäßig zu bewegen, gesund zu ernähren und – wenn möglich – ein Tagebuch zu führen. Gesundes Verhalten wird in jeder MBM-Kursstunde erfragt und /oder in Wochenprotokollen dokumentiert.

Am Institut für Allgemeinmedizin der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg startete im Wintersemester 2018/19 mit dem klinischen Wahlpflichtfach „Weniger Stress, mehr Kompetenz“ ein Pilotprojekt, dass von der Oberberg Stiftung Matthias Gottschaldt gefördert wird [31]. Die Kursleiter in Magdeburg sind erfahrene psychodynamisch ausgebildete praktizierende Psychotherapeuten u. a. mit fundierter Zusatzqualifikationen in achtsamkeitsbasierter Psychotherapie (Leitung: Marsha Linehan/ Martin Bohus), haben sich in Vorbereitung auf das Wahlpflichtfach über mehrere Jahre als Qualitätszirkelleiter oder -teilnehmer mit der Thematik wissenschaftlich und praktisch auseinandergesetzt und können auf eine langjährige eigene Meditationspraxis zurückblicken.

Im Rahmen des seit 2018 in jedem Semester durchgeführten klinischen Wahlpflichtfachs werden Studierende unterstützt, Techniken zu erlernen und Haltungen zu kultivieren, die das wissenschaftlich fundierte Feld der Achtsamkeit und Meditation zur Verfügung stellt. Die Teilnehmenden erlernen und praktizieren v. a. Techniken in Anlehnung an die Kernübungen des ReSource-Projektes aber auch Übungen der sogenannten „Dritte-Welle-Verfahren“ der Verhaltenstherapie (DBT, MBSR, MBCT oder MBRP), die sie in ihrer physischen und psychischen Präsenz, beim Bewahren von Empathie und (Selbst-)Mitgefühl, im Umgang mit schwierigen Gefühlen sowie bei der Erarbeitung einer professionellen Beobachterfunktion in Bezug auf sich und andere unterstützen können. Sie vertiefen ihre Kenntnisse durch die Diskussion des Erlernten in der Gruppe. Der häuslichen Übungspraxis und Dokumentation von Meditations- und Achtsamkeitsübungen kommt dabei auch hier eine zentrale Bedeutung zu. Die Teilnehmenden setzen sich mit wissenschaftlichen Publikationen der Meditations- und Achtsamkeits-, Resilienz- und Empathieforschung sowie zur Studierenden- und Ärzt*innengesundheit auseinander. Darüber hinaus wird die Ärzt*innen-Patient*innen-Kommunikation in der Allgemein- und Familienmedizin unter dem Gebot der Achtsamkeit und Selbstfürsorge dargestellt, geübt und reflektiert. Hierzu gehören die Fallarbeit zur gelingenden hausärztlichen Kommunikation, das Kennenlernen und die Praxis des NURSE-Schemas und der Forschungen von Paul Ekman. Bereits im Studium vermittelte Techniken und Kompetenzen können im Rahmen der späteren ärztlichen Weiter- und Fortbildung eine weitere Vertiefung und Differenzierung erfahren. Hierzu wurde ein gestuftes Modell - die Magdeburger Achtsamkeitsmodule (MAM) – entwickelt, das neben den Angeboten für Studierende (Modul 1), die ärztliche Weiterbildung (Modul 2) und Fortbildung (Modul 3) umfasst [31].

Beide Kurse, sowohl der Berliner als auch der Magdeburger Kurs, fanden während der SARS-CoV2-Pandemie ausschließlich online statt und wurden von den Studierenden sehr gut angenommen.

Weitere MBM-Kurs Angebote werden Studierende an medizinischen Hochschulen in Deutschland angeboten, z.B. an der Universität Witten-Herdecke und der Universität in Ulm. Sehr gut etabliert ist auch der Kurs für Studierenden an der Mind Body Medicine Summer School in Essen (Leitung Prof. G. Dobos, Dr. A. Paul) [https://www.nhk-fortbildungen.de/16-0-Mind-Body-Medicine-Summer-School-aktive-Fortbildug-fuer-Medizinerinnen-und-Therapeutinnen.html], die seit 2006 stattfindet und in diesem Jahr bereits zum 18. Mal stattfand. An dieser Summer-School haben bereits über 1.000 Teilnehmende aus Deutschland und anderen deutschsprachigen Ländern teilgenommen.

Es erscheint zukünftig geboten, so wie es bereits seit 2019 im gestuften Modell der Magdeburger Achtsamkeitsmodule (MAM) in der ärztlichen Weiter- (Modul 2) und Fortbildung (Modul 3) sowie Workshops bei Kongressen wissenschaftlicher Fachgesellschaften der Allgemeinmedizin und Psychosomatik (u. a. DEGAM, DGPM) realisiert wird, Ärzt*innen im Rahmen ihrer Weiter- und Fortbildung Kenntnisse und Erfahrungen der MBM zu vermitteln und die wissenschaftliche Evidenz in weiteren Studien zu erfassen [31]. Bereits einmal wurde von Januar bis März 2018 der Charité-Kurs auch erfolgreich bei Mitarbeitenden (Ärzt*innen und Pflegekräfte) einer Charité-Intensivstation durchgeführt.

3. Evaluation der Kursangebote

Seit 2012 wird der Kurs an der Berliner Charité explorativ im Rahmen einer Evaluationsstudie ohne Kontrollgruppe mit einem prä-post Vergleich und mit einer zusätzlichen Fokusgruppen-Befragung von einer vom MBM-Kurs unabhängigen Person evaluiert. Die Ergebnisse der Analysen von quantitativen und qualitativen Daten, die zwischen 2012 und 2019 an 112 Studierenden erhoben wurden, weisen auf eine Vielzahl positiver Effekte des Kurses hin. Die quantitativen Ergebnisse zeigen eine Verringerung des wahrgenommenen Stresses und eine Steigerung von Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit, Selbstreflexion und Empathie [32]. In den Fokusgruppen berichteten die Studierenden über bessere Fähigkeiten zur Selbstregulierung von Stresserfahrungen, persönliches Wachstum und neue Einsichten in die Integrative Medizin. Nach der Triangulation der quantitativen und qualitativen Daten konnte gezeigt werden, dass diese Effekte durch die MBM-Praxis in ihrem sozialen Kontext verankert sind und eine interdependente Dynamik zwischen den Erfahrungen von sich selbst und anderen geschaffen wird [32]. Im Rahmen eines weiteren qualitativen Ansatzes zur Inhaltsanalyse eines Datensatzes konnte gezeigt werden, dass bei Studierenden insbesondere die folgenden fünf zentralen Komponenten angesprochen und verbessert werden: Verbundenheit mit anderen, Selbsterkennung, Stressabbau, verbessertes Lernen und medizinische Ausbildung, so dass insgesamt die Selbstfürsorge und Selbst-Reflexion im Sinne der gesundheitlichen Selbststärkung verbessert wird [33].

Die in Berlin festgestellten positiven Ergebnisse des MBM-Kurses bestätigen dabei die zuvor gewonnenen Langzeit-Ergebnisse [34] dieses Kursformates, bei dem auch Effekte auf Stress-Biomarker gezeigt werden konnten [35].

Erste Ergebnisse des Magdeburger MBM-Projekts, das ebenfalls wissenschaftlich begleitend mit einem prä-post Vergleich der Daten evaluiert wird, weisen bei 69 Medizinstudierenden unter Einsatz von standardisierten Fragebögen und qualitativen Interviews ebenfalls auf positive Effekte hin. Hierzu gehören die signifikante Verbesserung der Achtsamkeit (FFA) und des Selbstmitgefühls (SCS-D), eine Publikation der Ergebnisse befindet sich in der Vorbereitung.

4. Zukunft und Perspektive

Im Jahr 2021 konstituierte sich eine Arbeitsgruppe der Autor*innen dieses Artikels mit dem Ziel, sich inhaltlich auszutauschen, von den Erfahrungen zu lernen, die verwendeten Evaluationsinstrumente neu zu bewerten und die Evaluation zu optimieren, nicht zuletzt auch um damit die bundesweit angestrebte Datenerhebung verschiedener medizinischer Fakultäten zu unterstützen bzw. zu harmonisieren, auch im Sinne einer zukünftigen Auswertung gemeinsam gewonnener Daten. Dazu ist eine Vernetzung aller Arbeitsgruppen angedacht, die MBM-Kursen an deutschsprachigen medizinischen Hochschulen anbieten. Die Vernetzung der Arbeitsgruppen sollte auch eine bessere bzw. zügigere weitere Begleitforschung ermöglichen, um die zuvor im Ausland und in Deutschland gewonnenen Erkenntnisse auch in einem größeren Studierendenkollektiv ggf. im Rahmen von größeren randomisierten Studien wissenschaftlich zu untersuchen. Falls sich in weiteren Studien positive Effekte von MBM-Kursen auf die Studierenden zeigen, sollten diese regelmäßig in medizinischen Hochschulen angeboten werden. Dem Austausch und der Vernetzung medizinischer Fakultäten im deutschen Sprachraum dienten Aktivitäten der Magdeburger Arbeitsgruppe im Rahmen der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung und auf den DEGAM-Kongressen. Darüber hinaus konnte das Magdeburger Projekt auf einem an der Medizinischen Fakultät in Marrakesch im Jahr 2024 durchgeführten Workshop international vorgestellt werden.

Die Verstetigung der in den MBM-Kursen von den Studierenden erlernten Fähigkeiten bleibt eine Herausforderung, da aus Kapazitätsgründen derzeit nur einsemestrige Kurse mit auf ca. 20-30 (Berlin) bzw. 56 (Magdeburg) (4 Semesterwochenstunden) limitierten Kursstunden (inklusive Selbststudium) angeboten werden. Die langfristige Förderung von Resilienz und Selbstfürsorge – jedoch nicht Selbstoptimierung im Sinne eines „schneller, höher, weiter“ – sind im Selbstverständnis der Lehrenden und Lernenden das Ziel der Seminare, wobei es von großem wissenschaftlichen und praktischen Interesse ist, zu verfolgen, ob und wie die von den Studierenden erarbeiteten Techniken und mit ihnen zu etablierende Haltungen im Alltag, vielleicht so selbstverständlich wie das tägliche Zähneputzen, zu etablierter Praxis werden können. Bisher gab es sowohl in Berlin als auch in Magdeburg Initiativen von Studierenden, MBM-Kurse ohne die Dozierenden nach Beendigung des Kurses in regelmäßigen Treffen fortzusetzen. Eine weitere Möglichkeit wäre die Online-Fortsetzung der Kurse zur Verstetigung der erlernten Fähigkeiten, wobei von ersten positiven Erfahrungen aus Magdeburg berichtet werden kann. Hilfreich und wichtig, aber auch leistbar, um die Mind-Body-Medizin für Stressreduktion, Resilienzstärkung und Selbstfürsorge bei Medizinstudierenden und Ärzt*innen nachhaltig zu implementieren, erscheint uns eine rasche, über die Fachgebiete der Allgemeinmedizin, der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie wie auch der Naturheilkunde und Integrativen Medizin hinausgehende, Dissemination in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung. Wir gehen hierbei von einem gestuften Modell aus, dass wir bereits im Studium mit MBM-Interventionen beginnen müssen, damit Medizinstudenten in späteren Semestern bzw. am Anfang Ihrer Weiterbildungszeit genug Resilienz verfügen, um den Herausforderungen des Alltags begegnen zu können.

ORCIDs der Autor*innen

Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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Anhänge

Anhang 1Kursbeschreibungen (Anhang_1.pdf, application/pdf, 136.52 KBytes)