[Auslandsaufenthalte im Studiengang der Zahnheilkunde am Studienstandort Münster – eine Bedarfsanalyse zur Möglichkeit von internationalen Studienaufenthalten]
Julian Hettkamp 1Jan C. Becker 2
Sönke Scherzer 2
Bernhard Marschall 2
Benjamin Ehmke 1
Petra Scheutzel 3
Anna Junga 2
1 Universität Münster, Medizinische Fakultät, Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung, Münster, Deutschland
2 Universität Münster, Medizinische Fakultät, Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten, Münster, Deutschland
3 Universität Münster, Medizinische Fakultät, Poliklinik für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien, Münster, Deutschland
Zusammenfassung
Einleitung: Auslandsaufenthalte in Form von z.B. Studienaufenthalten und Famulaturen, sind im Studiengang Zahnmedizin in Deutschland bisher selten. Die neue ZApprO (Ausfertigungsdatum: 08.07.2019) bietet u.a. durch Einführung von Modulen, ECTS-Punkten und Famulaturen die Möglichkeit Auslandsaufenthalte in das Studium zu integrieren. Ziel der vorliegenden Studie war es, zwecks einer gezielten Vorbereitung die studentische Sichtweise dazu exemplarisch zu erheben.
Methodik: Im Sommersemester 2021 wurde eine freiwillige und anonyme online Umfrage unter den Studierenden der Zahnmedizin am Studienstandort Münster durchgeführt. Der Fragebogen umfasste neben demographischen Daten auch inhaltliche Schwerpunktfragen.
Ergebnisse: Entsprechend einer Rücklaufquote von 55%, haben insgesamt 371 Studierende an der Umfrage teilgenommen. Dabei gaben 96% der Studienteilnehmer*innen an, im Rahmen ihres Studiums Auslandserfahrung sammeln zu wollen, knapp die Hälfte davon sogar im Fall ausbleibender oder lediglich partieller Anerkennung von Studienleistungen. In Frage kommen Famulatur (30%) - und semesterumfassende Aufenthalte (32%) zu nahezu gleichen Teilen, weitere 28% würden beide Optionen in Betracht ziehen. Der Zeitverlust im Studienfortschritt, die Finanzierung sowie aufwendige Planung und familiäre Verpflichtungen sind die am häufigsten genannten Gründe gegen einen Auslandsaufenthalt.
Schlussfolgerung: Die Umfrage belegt ein sehr hohes Interesse von Studierenden der Zahnmedizin an universitär geförderten Auslandsaufenthalten. Dabei kommen sowohl kürzere Zeitfenster, wie etwa für Famulaturen infrage, aber auch längere Aufenthalte wie z.B. im Rahmen von Erasmus-Kooperationen. Auf Basis der Ergebnisse sollte die Etablierung von universitär geförderten Auslandsaufenthalten ermöglicht werden.
Schlüsselwörter
Zahnmedizin, ERASMUS, Auslandsaufenthalt, Internationalisierung
Einleitung
Angesichts der fortschreitenden Globalisierung und Internationalisierung gewinnt der Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen sowie die interdisziplinäre Vernetzung im akademischen Kontext zunehmend an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund beschloss die Europäische Union schon im Jahr 1987 die Grundlage für ein Förderprogramm zu schaffen, welches den Austausch und die Verständigung in einem friedlichen Europa fördert [https://www.erasmusplus.de/wer-wir-sind/30-jahre-erasmus]. „ERASMUS“ steht für “European Action Scheme for the Mobility of University Students” und beschreibt eine Maßnahme zur Förderung, Finanzierung und Durchführung eines akademischen Austausches zwischen verschiedenen europäischen Ländern [1]. Konkret können Studierende in diesem Programm etablierte Strukturen und finanzielle Förderungen nutzen, um im europäischen Ausland im Rahmen eines Auslandssemesters – oder Praktikums Erfahrungen zu sammeln. Bis heute profitierten ca. 10 Millionen Europäerinnen und Europäer von der Förderung des ERASMUS-Programms [https://www.erasmusplus.de/wer-wir-sind/30-jahre-erasmus].
Die Gründe für einen Auslandsaufenthalt sind vielfältig und wurden bereits in diversen Studien erforscht: Die Weiterentwicklung von professionellen und persönlichen Fähigkeiten, das Erlernen oder Verbessern einer Fremdsprache, die Verbesserung der eigenen Karrierechancen, aber auch der kulturelle Austausch werden dabei als wichtigste Aspekte für die Entscheidung für ein „ERASMUS-Semester“ genannt [2], [3], [4]. Wie Zebryk et al. 2021 zeigte, konnte ein Großteil der ERASMUS-Alumni ihre Lernansätze und Strategien durch den Austausch positiv verändern, womit nicht nur kulturell, sondern auch persönlich ein Zugewinn für die Studierenden festgestellt werden konnte [5]. Die Ansprüche an ein Auslandssemester sind in Bezug auf die praktischen Elemente wie Patientenbehandlung nicht mit anderen Studiengängen vergleichbar und erfordern besondere Vorkehrungen und Kapazitäten. Internationale Forschung, der Austausch zw. verschiedenen Lehrformaten aber besonders der interdisziplinäre Behandlungsansatz sind dabei für Zahnmedizinstudierende für ihr Studium, aber auch für Ihren späteren Beruf von besonderer Bedeutung.
Im Studiengang der Humanmedizin etablierte sich das ERASMUS-Austauschprogramm an der medizinischen Fakultät der Universität Münster (UM) bereits Anfang der 1990er Jahre.
Im Gegensatz zur Humanmedizin existiert an der zahnmedizinischen Fakultät Münster bis dato kein Erasmus- oder vergleichbares Austauschprogramm. Laut einer unveröffentlichten Studie der UM, in welcher deutschlandweit alle zahnmedizinischen Fakultäten um Partizipation gebeten wurden, sind insbesondere die teilweisen großen Unterschiede zw. den Curricula und bürokratische Hürden zw. den Fakultäten Gründe für die mangelnden Austauschmöglichkeiten in der Zahnmedizin. Die seit 2019 gültige neue Fassung der ZApprO (Approbationsordnung für Zahnärzte und Zahnärztinnen) bietet nun u.a. durch Einführung von Modulen, ECTS-Punkten und Famulaturen die nötigen Voraussetzungen um Auslandsaufenthalte in das Studium zu integrieren (§15 Absatz 5 ZAppro).
Ziel dieser Studie war es, den Bedarf der Studierendenschaft am Studienstandort Münster zu evaluieren, um darauf aufbauend einen entsprechenden Etablierungsprozess zu starten. Des Weiteren sollen Eckpunkte identifiziert werden, um bei der Umsetzung auch die Interessen und Bedürfnisse der Studierendenschaft berücksichtigen zu können und mögliche Schwierigkeiten direkt zu adressieren.
Methoden
In einem iterativen Prozess wurde der Fragebogen „Austauschprogramm Zahnmedizin“ zusammengestellt. Ziel dabei war es eine Übersicht der vorherrschenden Grundstimmung in der Studierendenschaft zu gewinnen, um auf dieser Basis die Sinnhaftigkeit des Prozesses zur Entwicklung von Auslandskooperationen zu evaluieren. Dazu wurden verschiedene Themengebiete, wie das generelle Interesse an Auslandsaufenthalten, Sprachkenntnisse, aber auch Aspekte wie die Finanzierung, über einen Onlinefragebogen abgefragt und ausgewertet. Befragt wurden Studierende aller Semester an der Universität Münster zur individuellen Einstellung bzgl. ERASMUS-Auslandssemestern und Auslandsfamulaturen.
Der Fragebogen wurde hierzu am Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten (IfAS, Autoren JCB und AJ) der Medizinischen Fakultät Münster in Kooperation mit der Fachschaft Zahnmedizin (Autor JH) entwickelt. Die möglichen Fragen wurden dabei in einem Fragenpool gesammelt und zur Abstimmung neben den oben genannten Beteiligten auch dem International Office (Med. Fakultät) und den Klinikdirektor*innen (inkl. Studiengangs-Koordinatorin) vorgelegt. Durch Konsensfindung wurde der finale Fragebogen erstellt. Zur Überprüfung hinsichtlich formaler und inhaltlicher Fehler wurde die finale Version dem Fachschaftsvorstand als Testgruppe vorgelegt. Die Teilnehmer*innen waren in die Gestaltung des Fragebogens nicht involviert. Nach finaler Überprüfung wurde der Fragebogen zur Veröffentlichung freigegeben.
Der Fragebogen besteht aus zwölf Items mit offenen und geschlossenem Antwortformat (siehe Anhang 1 [Anh. 1]). Dabei wurden bewusst auch Freitextfragen einbezogen, um neben den deskriptiven Daten auch individuelle Meinungen wie z.B. Wünsche und Ängste zu erfassen. Die ersten drei Fragen richten sich nach demographischen Aspekten wie Geschlecht, Alter und Fachsemester. Um die Grundstimmung der Studierenden zu erfassen, erhebt der nachfolgende Fragenblock Daten bzgl. des generellen Interesses an Auslandsaufenthalten, der Anrechenbarkeit von Studienleistungen, sowie Präferenzen zur Länge und Format des Auslandsaufenthaltes. Im letzten Abschnitt werden Fragen zu Sprachkenntnissen, präferierten Kooperationspartnern, Gründe gegen ein Auslandssemester und das maximal zur Verfügung stehende Budget erfragt. Ziel war es ein möglichst differenziertes Bild über Bedürfnisse, das Interesse aber auch besonders Sprachkenntnisse zu gewinnen, um einen Prozess zur Findung von möglichen Kooperationspartnern zu beginnen (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).
Tabelle 1: Aufbau des Fragebogens
Als Studienteilnehmer*innen wurden die Studierenden aller Vorklinischen und Klinischen Semester der Zahnmedizin am Standort Münster ausgewählt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Fragebogens waren dies 674 Personen. Die Studierenden wurden über den E-Mail-Semesterverteiler der jeweiligen Fachsemester angeschrieben und gebeten an dieser Umfrage teilzunehmen. Dabei wurden sie speziell auf den freiwilligen und anonymen Charakter dieser Umfrage, sowie die Möglichkeit des Widerrufes der abgesendeten Daten hingewiesen. Weiterhin entstanden den Studierenden keine Nachteile, wenn an besagtem Fragebogen nicht teilgenommen wurde.
Die Datenerfassung und -sammlung erfolgte über einen Zeitraum von 3 Monaten zwischen Juli und September 2021. Der Fragebogen wurde über das Onlinetool LIME-Survey (Version 5.0.0; LimeSurvey GmbH, Hamburg, Deutschland) durchgeführt. Bei dieser Website handelt es sich um eine gesicherte und den Datenschutzansprüchen der UM für wissenschaftliche Fragebögen entsprechende Website, welche standardmäßig Verwendung findet. Die Teilnahme an der Umfrage war (ausschließlich) über den zugesandten Link möglich.
Die erhobenen Daten wurden mit Hilfe des Programms SPSS (Version 29.0.0.0. (241); IBM, Armonk, USA) ausgewertet. Abbildungen und Grafiken wurden mit Hilfe von SPSS, MS Excel (Version Excel 2405; Microsoft Corporation, USA.) und R (Version 4.4.4.1; R Core Team, USA) erstellt (siehe Anhang 2 [Anh. 2]).
Ergebnisse
Insgesamt nahmen 371 Studierende an der Umfrage teil, dies entspricht einer Rücklaufquote von 55,04%. Das Geschlechterverhältnis entsprach dem der Grundgesamtheit im Studiengang Zahnmedizin in Deutschland [6], verteilt auf 253 Frauen (73,12%), 92 Männer (26,58%) und 1 diverse Person (0,29%). Das Durchschnittsalter aller Teilnehmer*innen betrug 22,17 Jahre (SD±3,596) bei einer Alterspanne zwischen 17 und 40 Jahren. Eine Geschlechterdifferenzierung ergab, dass Männer mit im Mittel 22,72 Jahren (SD±4,1) gegenüber Frauen mit 21,97 Jahren (SD±3,4) durchschnittlich fast ein Jahr älter waren. Dies deckt sich ebenfalls mit der Grundgesamtheit aller Studierenden in Deutschland [7].
Die Teilnehmenden befanden sich überwiegend zwischen dem 1. und 10. Fachsemester, wobei das Maximum (zwei Teilnehmende) im 20. Hochschulsemester lag. Auffällig ist eine fast doppelt so hohe Teilnahmequote der Studierenden der vorklinischen (Teilnahmequote Vorklinik: 54,80%) im Vergleich zu den klinischen Semestern (Teilnahmequote Klinik: 33,20%).
96,04% der Umfrageteilnehmer*innen (316 Studierende) gaben an, im Rahmen ihres Studiums grundsätzlich Auslandserfahrung sammeln zu wollen. Die Hälfte aller Teilnehmer*innen (54,43%) wäre sogar bereit an einem Auslandsaufenthalt teilzunehmen, wenn Studienleistungen nur partiell oder sogar gar nicht anerkannt werden könnten (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Dabei gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Geschlechtern (Männer: 56,32%, Frauen 47,7%).
Abbildung 1: Interesse an Auslandsaufenthalten mit und ohne Anerkennung von Leistungsnachweisen; Interesse allgemein n=316, Interesse ohne Anerkennung von Leistungsnachweisen n=166, kein Interesse allgemein n=13, kein Interesse ohne Anerkennung von Leistungsnachweisen n=139
Bei der Frage nach der präferierten Art des Auslandsaufenthaltes gab es keine klare Tendenz für kürzere (meist wenige Wochen dauernde) Famulaturen (29,65%) oder längere (in der Regel semesterfüllende) Erasmus-Aufenthalte (32,08%). Beide Arten von Auslandsaufenthalten weisen eine nahezu gleiche Zustimmung auf, auch Interesse an beiden Optionen wurde von einem Viertel der Befragten (27,49%) genannt.
Zur Frage nach dem optimalen Zeitpunkt des Auslandsaufenthaltes war eine Mehrfachnennung zur Präferenz (siebtes, achtes oder neuntes Semester) möglich. Die möglichen Zeitpunkte wurden in Abhängigkeit des Curriculums und der Erfahrungsstufe der Studierenden vorausgewählt. Aufgrund dieser Option nannten 51,22% der Teilnehmer*innen mehrere Zeitpunkte. Wertet man die Summe aller gegebenen Antworten, so ist das achte Semester (41,04%), knapp gefolgt vom siebten Semester (36,71%), am beliebtesten. Lediglich das neunte Semester scheint mit 22,24% von geringerem Interesse zu sein.
Die Studierenden wurden zusätzlich zu ihren sprachlichen Vorkenntnissen befragt. Sprachnachweise auf dem Niveau B2 oder höher sind vor allem in den Sprachen Englisch (85,89%), Französisch (23,72%) und Spanisch (13,51%) dokumentiert. Darüber hinaus gibt ein kleiner Teil der Teilnehmenden an einen entsprechenden Sprachnachweis für Italienisch, Türkisch (jeweils 2,7%) oder Niederländisch (2,4%) erworben zu haben (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).
Abbildung 2: Kartendiagramm von Europa zzgl. der Türkei, Darstellung von vorhandenen Sprachkenntnissen auf B2-Niveau in % der Befragten, n=436, erstellt mit Microsoft® Excel® für Microsoft 365 MSO (Version 2408 Build 16.0.17928.20114)
Eine größere Auswahl aus 13 möglichen Partneruniversitäten, welche im Vorfeld durch das International Office bzgl. möglicher Kooperationen positiv angefragt wurden, wurden mit der Option zur Mehrfachauswahl im Fragebogen abgefragt. Oulu, Finnland (59,19%), Basel, Schweiz (58,26%), Padua, Italien (57,01%) und Coimbra, Portugal (49,84%) wiesen dabei als direkte Kooperationen signifikante Zustimmungen auf. Zusätzlich wurden als Länder (Mehrfachauswahl möglich) die USA (76,01%), Spanien (66,98%), Frankreich (54,83%) und Japan (50,15%) als mögliche Ziele von einer großen Anzahl der Teilnehmer*innen genannt.
Auf die Frage nach den in Frage kommenden Fachrichtungen war ebenfalls eine Mehrfachnennung möglich. Die Analyse aller abgegeben Antworten ergab dabei ein vergleichbares Interesse der Studierenden an allen Fachabteilungen. Der konservierenden Zahnheilkunde (KONS) (27,17%) folgte die Kieferorthopädie (KFO) (24,77%), die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (MKG) (24,43%) und abschließend die Prothetik (23,63%). 34,77% der Befragten gaben an, gleichermaßen an allen Fächern interessiert zu sein.
Im nachfolgenden Abschnitt (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]) wurden Schwierigkeiten abgefragt, die Studierende bezogen auf einen Auslandsaufenthalt sehen. Als Faktoren, die Studierenden von einem Auslandsaufenthalt abhalten würden, wurden neben dem Zeitverlust im Studium (65,81%), die Finanzierung (53,04%), die Sorge vor aufwendiger Planung (30,35%) und familiäre Gründe (17,89%) genannt. Hier war es den Studiereden möglich Kurzantworten zu geben. Häufig wurden Kommentare wie „Nicht anzuerkennende Leistungen und damit verbundener Zeitverlust, wäre eine hohe Belastung, sowohl finanziell, als auch sozial, da die Kohorte gewechselt würde.“, „Unsicherheiten bei der Finanzierung wenn alles selbst finanziert werden muss und nicht vorher klar ist, was für Kosten auf einen zukommen.“ oder „Überschreiten der Regelstudienzeit“ genannt (siehe Anhang 3 [Anh. 3]).
Abbildung 3: Genannte Faktoren gegen einen Auslandsaufenthalt in % der Gesamtantworten; Aufwendige Planung n=95, Familie/ Beziehung n=56, Finanzierung n=166, Sonstige n=13, Zeitverlust im Studium n=206, Mehrfachnennung möglich
Bezogen auf die Finanzierung wurde weitergehend gefragt, welches Budget die Studierenden maximal für einen Auslandsaufenthalt aufbringen würden. Dieses wurde im Mittel mit 2929,14€ (SD± 3296,23) angegeben. Frauen sind dabei mit 3365,03€ (SD±2835,98€) im Schnitt bereit signifikant mehr Geld zu investieren als Männer mit 2599,8€ (SD ±2321,36) (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]).
Abbildung 4: Boxplot, Budget in € für Auslandsaufenthalte, Gesamt sowie aufgetrennt nach Geschlecht; Gesamt n=223, männlich n=68, weiblich n=155
Diskussion
Ziel der Studie war es, das Interesse und die Rahmenbedingungen der Studiereden bezüglich Auslandsaufenthalten zu erfassen, um auf Basis der Ergebnisse fundierte Maßnahmen zur Erweiterung der entsprechenden Angebote zukünftig zu ermöglichen. Auf Basis der Rücklaufquote und des Geschlechterverhältnisses ist von einer, mindestens für den Studienstandort Münster, repräsentativen Umfrage auszugehen.
Grundsätzlich konnte in dieser Studie gezeigt werden, dass ein hohes Interesse an universitären Auslandsaufenthalten im Studium der Zahnmedizin besteht. Das Interesse ist derart ausgeprägt, dass die Hälfte der Befragten bereit wäre, einen Auslandsaufenthalt zu absolvieren, selbst wenn dieser aufgrund fehlender Anrechenbarkeit nicht unmittelbar zum Studienfortschritt beitragen würde. Ausgehend von der Annahme, dass primär interessierte Studierende an der Umfrage teilgenommen haben, sind Auslandsaufenthalte vor Allem für Studierende des vorklinischen Abschnitts interessant.
Als idealen Zeitpunkt wurde vermehrt das siebte und achte Semester genannt. Insgesamt scheinen für die Studierenden dabei sowohl kürzere Zeitfenster (z.B. Famulaturen), aber auch längere Aufenthalte wie z.B. im Rahmen von Erasmus-Kooperationen von Interesse.
Für eine erfolgreiche Etablierung eines Auslandsaufenthaltes ergeben sich aus der Befragung heraus mehrere Punkte, die seitens der Fakultät weiter ausgearbeitet werden müssen.
Als einer der wichtigsten Aspekte sollten dabei die Kapazitäten betrachtet werden. Unter der Annahme, dass alle Studierenden, die nicht an der Befragung teilnahmen kein Interesse an einem Auslandsaufenthalt haben, verbleiben mit 55,04% der Zahnmedizinstudierenden trotzdem eine große Anzahl von Interessierten. Bei einer durchschnittlichen Studiengangsgröße von 55 Studierenden pro Semester und einem eingeschränkten möglichen Zeitfenster (zwecks Staatsexamina und Vorbereitungszeit) ist die Nachfrage pro Semester sehr hoch.
Die Betreuung einer größeren Anzahl ausländischer Studierender, wie es die Humanmedizin aufgrund des geringeren Anteils an patientennaher eins-zu-eins Ausbildung (z.B. Behandlungskurse) leisten kann, ist in der Zahnmedizin nicht praktikabel. Ein Austausch ist zudem nur dann realisierbar, wenn im ungefähr selben Maße Studierende im Sinne eines Austausches die Kapazitäten kooperierender Fakultäten nutzen. Hierdurch wird impliziert, dass es feste Kooperationspartner in einer eingeschränkten Auswahl geben muss, um ein Austausch in diesem festen Rahmen zu ermöglichen. Eine denkbare Anzahl wären dabei drei wählbare Hochschulen und eine Gesamtkapazität pro Winter- oder Sommersemester von maximal drei bis fünf Studierenden. Dies entspräche einem Anteil von 10% einer Semesterkohorte. Noch nicht berücksichtigt sind hier weitere Angebote im Bereich von Auslandsfamulaturen, durch die zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden.
Da die Sprache als entscheidendes Kriterium für den Erfolg einer etwaigen Kooperation essentiell ist und das Erlernen und Verbessern der eigenen Sprachfähigkeiten für 90% der Studierenden ein überaus relevantes Kriterium für die Standortentscheidung darstellt [5], muss diesem Aspekt eine entsprechenden Bedeutung beigemessen werden. Zebryk et al. zeigten, dass 94% der Studierenden eine Verbesserung der professionellen Sprachfähigkeiten in der Sprache des Gastlandes angaben, 77% schätzen diese dabei sogar besonders hoch ein [4]. In der Befragung wurden Universitäten in Finnland, der Schweiz und Italien als mögliche Partner am häufigsten genannt. Setzt man dies jedoch in Zusammenhang mit den angegebenen Sprachkompetenzen der Münsteraner Studierenden, wäre die Auswahl von primär englischsprachlichen (sowie sekundär und spanisch- sowie französischsprachige) Universitäten sinnvoll, auch wenn im Einzelfall weitere Sprachen beherrscht werden. Ziele wie Finnland oder Japan sind sicherlich kulturell attraktiv [8] aber nur dann sinnvoll einbeziehbar wenn die Teilnahme an den Veranstaltungen in englischer Sprache möglich ist.
Da eine bilaterale Kooperation angestrebt wird, muss zusätzlich beachtet werden, dass die Universität Münster Lehrveranstaltungen ausschließlich in Deutsch anbietet. Als Sprachniveau wird in der Humanmedizin B2 als Voraussetzung zur Bewerbung für ein Auslandssemester in der jeweiligen Landessprache vorausgesetzt.
Ferner stellt die inhaltliche Schwerpunktsetzung einer möglichen Kooperationsuniversität einen wesentlichen Aspekt bei der Entscheidungsfindung dar. Um dem ausgeglichenen Interesse an allen Fachdisziplinen (MKG, KFO, KONS und Prothetik) gerecht zu werden sollten die ausgewählten Hochschulen anhand eines fundierten Lehrangebotes in diesen Bereichen ausgewählt werden.
Eine bekannterweise gute Ausbildung in den oben genannten Bereichen ist besonders relevant, da bei der Entscheidungsfindung der Ruf der Hochschule laut Marinescu et. al für Studierende im fortgeschrittenen Studium zunehmend wichtiger wird [8]. Eine entsprechende Expertise der jeweiligen Fachabteilungen könnte das Interesse unserer Studierenden entsprechend fördern und lässt auf einen positiven Effekt hinsichtlich der Professionalisierung der eigenen Kenntnisse und des individuellen Lernerfolges schließen. Entsprechende zu erwartende positive Veränderungen bzgl. des Lernansatz in Bezug auf Klinik, Praxis und evidenz-basierter Medizin wurden bereits von Zebryk et al. Beschrieben [5].
Trotz all der als positiv zu bewertenden Aspekte ist die Finanzierung eines Austausches und der bisher unvermeidbare Zeitverlust für Studierende von großer Wichtigkeit.
In vorherigen Studien wurde der Einfluss der Finanzierung bereits ausführlich untersucht und versucht die Rolle in der Entscheidungsfindung zu definieren [9]. Studierende der Zahnmedizin haben teilweise hohe finanzielle Aufwände für Materialanschaffungen, welche je nach Studienstandort zw. 1000 und 10.000€ beziffert werden können [10]. Um Studierende aus monetären Gründen nicht von einer Auslandserfahrung auszuschließen und somit besonders sozial benachteiligte Studierende zu diskriminieren, bedarf es finanzieller Fördermöglichkeiten [11]. Zu oben besprochenem Aspekt ist zu ergänzen, dass die Standortwahl für ein Auslandssemester auch von den zu erwartenden Kosten und verfügbaren Förderprogrammen abhängig sein kann [12]. Programme wie ERASMUS (europäischer Austausch) oder PROMOS (weltweiter Austausch) unterstützen durch Förderungen die Finanzierung von Studienbeiträgen und Unterkunft, können aber mitunter nicht alle entstehenden Kosten abdecken. Um die Teilnahme von benachteiligten und schwer erreichbaren Gruppen an internationalen Projekten zu erhöhen wurden zusätzliche finanzielle Mittel seitens der EU und des Bundes zur Verfügung gestellt, sodass eine verbesserte Förderung möglich ist [13].
Des Weiteren, gaben 66% der Studienteilnehmer*innen an, dass der Zeitverlust im Studium eines der größten Hindernisse für einen Auslandsaufenthalt darstellt. Im Vergleich zu anderen Studiengängen wie Fremdsprachenfächern im Lehramtsstudium [14] oder der Betriebswirtschaftslehre [15], wo curriculare und außercurriculare Auslandsaufenthalte bereits fest verankert sind, scheint ein möglicher Zeitverlust in der Zahnmedizin ein primäres Problem darzustellen. Durch einen angepassten Studienverlaufsplan mit ausgewählten Kooperationspartnern sollte seitens der Fakultät jedoch das Ziel gesetzt werden, dass Leistungen zunehmend anerkannt werden, um einen Zeitverlust zu minimieren. Zu diskutieren gilt dabei auch, ob ein Auslandssemester auch im vorklinischen Abschnitt (z.B. 5. oder 6. Semester) durchzuführen wären. Die Sprachbarriere ist hierbei zu vernachlässigen und es ist durch eine standardisierte Ausbildung in Phantomkursen möglich ein vergleichbares Kompetenzlevel zu erreichen. Als Nachteil ist dabei die enge Implementierung zw. zwei Staatsexamina (4tes und 6tes Semester) und der für die persönliche Entwicklung relevante, dann nicht vorhandene Patientenkontakt zu erwähnen. Sollten mögliche Partneruniversitäten ein Modul in besagten Semestern präferieren sollte dies individuell bewertet werden.
Nach Etablierung eines semesterumfassenden ERASMUS-Auslandsaufenthaltes sollte zusätzlich über die Möglichkeit von Auslandsfamulaturen nachgedacht werden. Im Rahmen der neuen ZAppro können Auslandsfamulaturen zudem curricular angerechnet werden. Programme wie PROMOS können ab einer gewissen Mindestdauer zur Finanzierung von Auslandsfamulaturen durchgeführt werden. Als Vorteil ist dabei die Individualität bei Ort und Dauer zu nennen. ERASMUS unterliegt trotz einer breit aufgestellten Finanzierung strengen Regularien (interne Kapazitätsgrenzen, Mindestaufenthalt von drei Monaten etc.) sodass Auslandsfamulaturen als zusätzliche Möglichkeit etabliert werden sollten.
Die Betrachtung aller erhobenen Daten unterstreicht das eindeutige Votum der Studierendenschaft Auslandsaufenthalte im Rahmen des Studiums der Zahnmedizin an der Universität Münster zu etablieren. Dennoch kann bei einer Rücklaufquote von 55% ein gewisser Selektionsbias nicht ausgeschlossen werden, was als Limitation der Studie berücksichtigt werden muss. Zusätzlich kann durch den freiwilligen Charakter dieser Umfrage eine weitere Verzerrung der Ergebnisse nicht ausgeschlossen werden. Auch wenn durch die neue Approbationsordnung vergleichbarere Studienbedingungen an den Standorten herrschen, können gewisse Unterschiede im Studienverlaufsplan dazu führen, dass die positiven Ergebnisse nicht auf andere Standorte Anwendung finden können. Weitere Studien mit erweiterten Stichproben, auch an anderen Studienstandorten in Deutschland, sollten zur Erforschung des Themas erfolgen. Dabei könnte auch der Effekt einer Auslandsfamulatur im Vergleich zu einer Famulatur im Inland verglichen werden.
Die Vorteile bzgl. Sprachentwicklung, Veränderung der Lernstrategie und Erkenntnisgewinnung überwiegen eindeutig [16]. Laut Bryla et al. statuieren ein Drittel aller ERASMUS-Studierenden, dass Auslandserfahrungen einen signifikanten Einfluss auf ihre persönliche Erfüllung, die akademische Entwicklung und berufliche Position hatten. Der aktuelle Nationale Bildungsbericht statuiert zusätzlich, dass der Nutzen für Teilnehmer*innen und Einrichtungen am ERASMUS+ - Programm sehr groß gegenüber denjenigen ist, die nicht teilnehmen und dass diese Ergebnisse langfristig anhalten werden [13].
Die neue ZApprO bietet dafür nunmehr auch notwendige Rahmenbedingungen, sodass die Anrechenbarkeit von Studienleistungen bei erfolgreicher Absolvierung im Ausland gewährleistet werden kann. Auch die genannten finanziellen Hürden könnten z.B. über eine Kooperation im Rahmen des ERASMUS Projektes der EU, und damit einer finanziellen Förderung der Studierenden, gemindert werden.
Fazit
Das hier gezeigte hohe Interesse der Zahnmedizinstudierenden an Auslandsaufenthalten sollte als klarer Auftrag interpretiert werden, um auf Basis der neuen Fassung der ZApprO Auslandsaufenthalte zur ermöglichen.
Um die Planung und Anrechenbarkeit sowohl für Studierende als auch für die Universität gewährleisten zu können, sollten feste Kooperationen mit Partnern im englisch-, spanisch- oder französischsprachigen EU-Ausland und im Rahmen von PROMOS auch weltweit, gefunden werden. Als Limitation bei der Suche nach geeigneten Partnern, muss dabei aber das ausschließlich deutschsprachige Angebot an Lehrveranstaltungen an der medizinischen Fakultät der UM berücksichtigt werden. Auch das Angebot der Fachdisziplinen sowie der Ruf der Lehre an den Hochschulstandorten sollte bei der Auswahl eine Rolle spielen. Durch Nutzung von Förderprogrammen wie dem ERASMUS-Programm lassen sich die zu erwartenden Kosten für die Studierenden deutlich reduzieren. Auf Basis der gegebenen Vorgaben ließe sich ein semesterfüllender Austausch für einen relevanten Anteil der Studierenden realisieren. Additiv dazu könnten Famulaturen für mehrere Wochen freier und individueller (Sprache, Kultur) gestaltet werden.
ORCIDs der Autor*innen
- Julian Hettkamp: [0009-0000-7481-6115]
- Sönke Scherzer: [0000-0002-7197-2101]
- Bernhard Marschall: [0000-0002-1354-8687]
- Benjamin Ehmke: [0000-0002-2418-6765]
- Anna Junga: [0000-0002-4165-9114]
Interessenkonflikt
Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
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