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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

2366-5017


Dies ist die deutsche Version des Artikels. Die englische Version finden Sie hier.
Projektbericht
Wissenschaftliche Kompetenzen

[Das Wissenschaftsmodul im Modellstudiengang Medizin der MHH – Entwicklungsgrundlagen, Realisierung, Ergebnisse]

 Volker Paulmann 1
Marie Mikuteit 1
Ingo Just 2
Naomi Karmann 3
Sandra Steffens 1

1 Medizinische Hochschule Hannover, Studiendekanat – Bereich Lehr- und Lernforschung, Hannover, Deutschland
2 Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Toxikologie, Hannover, Deutschland
3 Köln, Deutschland

Zusammenfassung

Zielsetzung: An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) wurde zum Studienjahr 2020/2021 im Medizinstudium ein verpflichtendes Wissenschaftsmodul eingeführt. Der Beitrag stellt die didaktischen Prämissen vor – im Mittelpunkt stehen die Vermittlung von wissenschaftlichen Kompetenzen und kritischem Denken – und beschreibt deren Umsetzung in Form eines longitudinalen Lehrkonzeptes mit einer abschließenden Forschungsarbeit. Ergebnisse zum Lernzuwachs der Studierenden werden vor diesem Hintergrund berichtet.

Methoden: Für die Identifizierung von Lernzielen und Unterrichtsformaten wurden der NKLM sowie Ergebnisse eines Curriculum-Mappings genutzt. Der Lernzuwachs im neu konzipierten Modul wurde anhand von studentischen Kompetenzeinschätzungen erhoben. Das Konzept der Forschungsarbeit und erste Ergebnisse werden auf der Basis von rund 200 vorliegenden Arbeiten evaluiert. Zudem wurden studentische Rückmeldungen (N=81) ausgewertet, die nach Abgabe der Forschungsarbeit mittels eines Online-Fragebogens erhoben wurden.

Ergebnisse: Das Wissenschaftsmodul wurde als longitudinales Lehrkonzept implementiert. Im Rahmen von elektronischen Assessment-Portfolio-Aufgaben (ePF-Aufgaben), Seminaren und einer abschließenden Forschungsarbeit werden die Lernziele vermittelt. Für die Bewertung der ePF-Aufgaben werden formative Feedbacks erstellt. Rund 90% eines Jahrgangs haben die Aufgaben erfolgreich bearbeitet und dabei einen signifikanten Lernerfolg erzielt. Die Erstellung einer Forschungsarbeit im Umfang von 10-15 Seiten haben bislang rund 200 Studierende erfolgreich abgeschlossen. Diese betrachten den Erwerb von wissenschaftlicher Schreibkompetenz und die Fähigkeit zur strukturierten Literaturrecherche als größten Lernzugewinn.

Schlussfolgerung: Die Einführung zusätzlicher wissenschaftlicher Ausbildungselemente bietet zahlreiche Chancen und Herausforderungen. Die Vermittlung der entsprechenden Kompetenzen ist ressourcenintensiv, da die Lehre in der Regel kleinere Betreuungsschlüssel erfordert. Um die Feedbackkultur in der medizinischen Ausbildung zu stärken, können wenig genutzte Lehrformen wie das Assessment-Portfolio, aber auch die Forschungsarbeit, eingesetzt werden.


Schlüsselwörter

Medizinstudium, wissenschaftliche Kompetenzen, Curriculumsentwicklung, NKLM

Einleitung

Die im „Masterplan Medizinstudium 2020“ entwickelten Prämissen zur Neuausrichtung der Ärztlichen Approbationsordnung befinden sich – nach der Vorlage eines Referentenentwurfs [1] – im politischen Aushandlungsprozess mit ungewissem Ausgang. Ungeachtet der stockenden legislativen Umsetzung werden an vielen medizinischen Fakultäten bereits Impulse der geplanten Studienreform didaktisch umgesetzt. Insbesondere mit Blick auf die Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen hat sich in der medizinischen Ausbildung in den letzten Jahren ein breites Spektrum an Lehransätzen entwickelt [2]. Diese reichen von punktuellen, propädeutischen Angeboten in Form von Seminaren oder Vorlesungen [3], über extracurriculare Lehrkonzepte [4], Wahlpflichtfächer und integrierte Lehrkonzepte im Rahmen von Pflichtmodulen [5] bis hin zu longitudinalen, didaktisch vielschichtigen Lehrplänen mit studentischen Studienarbeiten als Abschlussarbeit [6], [7], [8], [9]. Für die inhaltliche Ausgestaltung entsprechender Lehrformate bietet der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM) bereits umfassende Anknüpfungspunkte. Trotz der vorhandenen Dynamik ist damit im internationalen Vergleich eine vergleichsweise späte Entwicklung zu verzeichnen [10]. So wurde das Prinzip einer obligatorischen schriftlichen Abschlussarbeit im Medizinstudium bereits 2006 in Österreich und 2009 in der Schweiz etabliert, im Zuge der Einführung einer Bachelor-/Masterstruktur [11]. In Deutschland, so scheint es, haben die Diskussionen um die medizinische Promotion längere Zeit den Blick auf notwendige neue curriculare Ansätze verstellt [12], [13]. So können zwar Studien nachweisen, dass die Promotionsphase mit einem Kompetenzzuwachs einhergeht [14], [15]. Jedoch scheint mit dem Fokus auf den eigenständigen Forschungsbeitrag, der das Ziel der medizinischen Dissertation darstellt, die Frage in den Hintergrund zu rücken, welche grundlegende wissenschaftliche Expertise alle Ärzt*innen im Studium erwerben sollten [16] – und welche didaktischen Ansätze hier zielführend sind. Vor allem mit Blick auf die exponentielle Zunahme medizinischen Wissens, aber auch durch die neuartigen Informations- und Datenverarbeitungsmodi der Digitalisierung sowie die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz sind vielfältige Umwälzungen im Gesundheitssystem zu erwarten [17], [18]. Diese Transformationsprozesse verlangen von Ärzt*innen in verstärktem Maße die Kompetenz, verlässliche Informationsquellen identifizieren zu können, medizinische – aber auch gesellschaftliche – Entwicklungslinien zu erkennen und zu beurteilen, sowie die Bereitschaft, das eigene Handeln anzupassen. Diese Reflexionsschleife wird oftmals auch als „lebenslanges Lernen“ definiert und steht in enger Verbindung mit dem Grundprofil der kritisch-analytischen wissenschaftlichen „Persönlichkeit“ in den CanMEDS-Rollen [19]. Aus medizindidaktischer Perspektive ist ersichtlich, dass zur Stärkung dieser Rolle Vorlesungen und Multiple Choice-Prüfungen nur begrenzt beitragen können, da sie in der Regel Faktenwissen oder Handlungs- und Begründungswissen zum Gegenstand haben [20]. Stattdessen werden praxisbezogene bzw. forschungspraktische Lehr- und Lernkontexte empfohlen [21]. Im Kontext einer neuen Approbationsordnung wird eine schriftliche Forschungsarbeit, die über einen Zeitraum von 12 Wochen erstellt werden soll, als scheinrelevante Leistung avisiert.

An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) wurde zum Studienjahr 2005/2006 der Modellstudiengang Hannibal eingeführt. Seine curriculare Gestalt orientiert sich am Ausbildungsideal der Ärztlichen Approbationsordnung, dessen Ziel „… der wissenschaftlich und praktisch in der Medizin ausgebildete Arzt“ ist [https://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/BJNR240500002.html]. Eine Bestandsaufnahme nach fünfzehn Jahren zeigte, dass vor allem die praxisbezogenen Elemente gut entwickelt wurden [22]. Um in ähnlicher Weise die akademische Qualifikation zu stärken, wurden ab 2017 gezielt propädeutische Vorlesungen mit explizitem Wissenschaftsbezug entwickelt. Diese wurden fakultativ angeboten, ebenso wie die Möglichkeit eine betreute schriftliche Studienarbeit anzufertigen. Die studentische Resonanz auf diese Angebote blieb gleichwohl zurückhaltend, so dass neue curriculare Ansätze entwickelt werden sollten.

In dem vorliegenden Beitrag wird das neu konzipierte Wissenschaftsmodul der MHH vorgestellt, das zu Beginn des Studienjahres 2020/2021 verpflichtend für 320 Studierende pro Studienjahr eingeführt wurde. Es erstreckt sich vom ersten bis zum fünften Studienjahr und schließt mit einer verpflichtenden Forschungsarbeit ab. Im Folgenden werden zunächst die entwicklungsleitenden Prämissen und die konkrete Umsetzung des Wissenschaftsmoduls vorgestellt. Vor diesem Hintergrund sollen anschließend die folgenden Forschungsfragen beantwortet werden:

  • Lassen die eingeführten Lehr- und Lernformate (ePortfolio-Aufgaben, Seminare, Forschungsarbeit) einen Kompetenzzuwachs bei den Teilnehmer*innen erkennen?
  • Mit Blick auf die abgeschlossenen Forschungsarbeiten des ersten Jahrgangs: welche Rückschlüsse erlauben die Ergebnisse und Erfahrungen hinsichtlich des Mehrwerts und der Integration in das Medizinstudium?

Projektbeschreibung

Entwicklung des Wissenschaftsmoduls an der MHH

Der Ausbau des Lehrangebots zur Entwicklung wissenschaftlicher Kompetenzen wurde vom Arbeitsbereich der Curriculumsentwicklung im Studiendekanat unter Einbeziehung von Studierenden erarbeitet und beinhaltete im Kern die folgenden Schritte:

  1. Zunächst wurde der im Abgleich mit dem Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM 1.0) vorgenommene Mapping-Prozess an der MHH genutzt, um die bis dato nicht unterrichteten wissenschaftsbezogenen Lernziele zu identifizieren.
  2. Anschließend wurden im Sinne eines Constructive Alignments den Lernzielen Unterrichtsformate zugeordnet und die Prüfungsmodalitäten für das Modul und seine Elemente definiert.

Handlungsleitend beim Aufbau des Moduls war einerseits der Wunsch nach einer zeitlich flexiblen Grundstruktur, die den Studierenden im stark verschulten Lehrplan individuellen Gestaltungsraum einräumen sollte. Andererseits sollten die personellen und räumlichen Ressourcen der Lehrenden effizient genutzt werden, so dass digitale Lern- und Lehrformate verstärkt realisiert wurden. Die auf der Grundlage des NKLM erfolgte Sichtung der Lernziele für Wissenschaftliche Kompetenzen (Version 1.0: Kap. 14a) und das Mapping des MHH-Curriculums verdeutlichten, dass vor allem die Lernziele zu forschungs- und reflexionsbezogenen Aspekten bis dato nicht hinreichend im Curriculum abgebildet worden waren. Um diese gezielt im Medizinstudium abzubilden, wurden die folgenden Unterrichtselemente im Wissenschaftsmodul umgesetzt.

ePortfolio-Aufgaben

Um kritisches Denken, Quellenarbeit und wissenschaftliches Schreiben stärker zu verankern, wurde aus dem Lehr- und Prüfungskanon der MHH das wenig genutzte Assessment-Portfolio für die Beurteilung der Lernleistung gewählt. Dieses wird definiert als „[…] kursbegleitende, schriftlich-ausformulierte Leistungskontrolle. Es dient vor allem der Überprüfung der Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Einstellungen bzw. Haltungen. […]“ [23]. Der darauf aufbauende Grundgedanke ist, in einer longitudinal verankerten Modulform (in den Studienjahren 1-5) den Studierenden jährlich 2-3 Assessment-Portfolio-Aufgaben zu stellen, die über einen Zeitraum von 4-8 Wochen selbständig schriftlich zu bearbeiten sein sollen. Die Aufgabenstellungen, die sowohl Einzel- als auch Gruppenaufgaben beinhalten, werden digital über die Lernplattform ILIAS bearbeitet, so dass sie – analog zu den elektronischen Prüfungen [24] – als „ePortfolio-Aufgaben (ePF-Aufgaben)“ und in ihrer Gesamtheit als „eAssessment-Portfolio (ePF-A)“ bezeichnet werden. Thematisch werden u. a. Aspekte der Wissenschaftstheorie, der Literaturrecherche und der Guten Wissenschaftlichen Praxis (GWP) adressiert, aber auch Fragestellungen zu Entwicklungsprozessen im Gesundheitssystem (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Alle Aufgaben werden vorab von Studierenden getestet, um Verständnisbarrieren zu beseitigen und Einschätzungen zur Bearbeitungszeit zu erhalten.

Abbildung 1: Übersicht der Themen und Bearbeitungsmodi (Einzelarbeit vs. Gruppenarbeit) der ePortolio-Aufgaben in den Studienjahren 1-4. Pro Aufgabe stehen zwischen 4 und 8 Wochen Bearbeitungszeit bis zur Einreichungsfrist zur Verfügung.

Die Leistungsbewertung erfolgt im bestanden/nicht-bestanden-Modus, zusätzlich werden unterschiedliche Formen von Feedbacks eingesetzt, die die individuelle Lernentwicklung unterstützen sollen. Das Spektrum reicht von Musterlösungen über videobasierte „Nachbesprechungen“ (Lehrvideos mit Erläuterungen zur Aufgabe) bis zu individuellen schriftlichen Feedbacks, die in freier Textform bzw. als semi-strukturierte Feedbackbögen verfasst werden. Um den Lernzuwachs zu evaluieren, erhalten die Studierenden zum Start und nach Einreichung der jeweiligen ePF-Aufgaben zwischen 9 und 15 Items zur Beantwortung, je nach Komplexität der Aufgabe. Diese beinhalten kompetenzbasierte Selbsteinschätzungen, die auf die jeweiligen Lernziele Bezug nehmen. Abbildung 2 [Abb. 2] stellt beispielhaft den didaktischen Ansatz einer solchen Portfolioaufgabe dar.

Abbildung 2: Beispielhafte Darstellung des didaktischen Aufbaus einer ePortfolioaufgabe (1. Studienjahr)
Am Beispiel der Auseinandersetzung mit Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) werden Grundlagen der Textlektüre und der Zusammenfassung wissenschaftliche Publikationen, die eigenständige Quellenrecherche und die Reflexion bzw. Diskussion der Ergebnisse eingeübt.

Seminare

Neben den ePortfolio-Aufgaben wurden und werden kontinuierlich Seminarangebote aufgebaut, die methodische Aspekte vertiefen (z.B. zum wissenschaftlichen Schreiben, zu Präsentationstechniken, zu Datenkompetenz, etc.) aber auch Lücken der medizinischen Ausbildung füllen sollen, z.B. zu Ausgrenzung und Rassismus im Gesundheitssystem [25] oder zu Anwendungsfeldern von Künstlicher Intelligenz oder Robotik [26]. Insgesamt müssen Seminare im Umfang von 16 Stunden belegt werden. Durch Blended Learning-Formate wird in einigen Seminaren die Präsenzzeit zugunsten selbständiger Lernprozesse reduziert.

Forschungsarbeit

Am Ende des Wissenschaftsmoduls steht als zentraler Baustein die „Forschungsarbeit“. Diese soll 10-15 Seiten umfassen und eine Bearbeitungszeit von sechs Wochen nicht überschreiten, wobei eine geblockte Bearbeitungszeit ebenso möglich ist wie die semesterbegleitende Erstellung, da im derzeitigen Curriculum kein zusätzliches freies Zeitfenster speziell für die Forschungsarbeit existiert. In der Summe soll der Arbeitsaufwand 200 Stunden nicht überschreiten. Das Thema können die Studierenden aus allen Gebieten der Medizin frei wählen, auch methodisch gibt es keine Beschränkungen. Eine inhaltliche Verknüpfung mit einem nachfolgenden bzw. laufenden Promotionsprojekt ist möglich, wobei die Forschungsarbeit als unabhängige Studienleistung bewertet wird. Als Aufbau wird die Struktur eines Fachartikels erwartet (Einleitung – Methoden – Ergebnisse – Diskussion), inklusive eines halbseitigen Abstracts.

Als Bewertungsgrundlage dient den Betreuer*innen ein standardisierter Bewertungsbogen, der sechs formale (u.a. Orthografie, korrektes Referenzieren der Quellen) und sieben inhaltliche (u.a. thematische Eingrenzung, Ergebnisdarstellung, Diskussion der Ergebnisse) Aspekte vorgibt. Anhand der max. 33 erreichbaren Punkte erfolgt die Benotung der Forschungsarbeit. Für die Themenvergabe wurde eine Online-Datenbank entwickelt, in der die Betreuer*innen ihre Angebote einstellen. Nach einer kurzen Prüfung der formalen Eckpunkte durch die Lehrverantwortlichen wird die Arbeit über ILIAS freigeschaltet. Bei Interesse können sich die Studierenden direkt per Mail mit den Betreuer*innen in Verbindung setzen. Unabhängig davon können Studierende eigene Themen entwickeln und bearbeiten und sich dafür eine Betreuungsperson suchen. Betreuer*innen einer Forschungsarbeit müssen zumindest promoviert sein.

Wissenschaftlicher Progresstest

Ein jährlicher studentischer Progresstest mit derzeit 30 Fragen begleitet den gesamten Lernprozess. Der Fragenpool mit rund 200 Fragen beinhaltet verschiedene Fragetypen wie Long-Menu-, Zuordnungs-, Lückentext- oder Bildfragen und wurde überwiegend von Studierenden erstellt und durch ein internes Review-Verfahren durch Lehrende geprüft [27]. Abbildung 3 [Abb. 3] stellt zusammenfassend alle Elemente des Wissenschaftsmoduls im Studienverlauf dar.

Abbildung 3: schematischer Ablaufplan des longitudinalen Wissenschaftsmoduls in den Studienjahr 1-5
Für das eAssessment-Portfolioaufgaben werden 60 Std. als Workload angelegt. Seminare müssen im Umfang von 16 Stunden nachgewiesen werden. Die Forschungsarbeit soll nicht mehr als 200 Std. umfassen.

Methoden

Die Ergebnisse zum Lernzuwachs basieren einerseits auf den Daten, die im Rahmen der Modulverwaltung als Leistungs- bzw. Bestehenswerte fortlaufend erfasst werden. Für die ePFA wurden die erfassten Einzelaufgaben für zwei Jahrgänge für die ersten beiden Studienjahre in „alle Aufgaben bestanden“ vs. „nicht alle Aufgaben bestanden“ zusammengefasst. Zudem wurden die vor der Aufgabenbearbeitung und nach erfolgter Bearbeitung erhobenen Kompetenzeinschätzungen, die auf der Grundlage der Lernziele der Aufgaben erstellt werden, deskriptiv ausgewertet. Die Items beinhalten 5- bzw. 7-stufigen Skalen, die jeweils Zustimmungswerte von „trifft voll zu“ bis „trifft gar nicht zu“ abbilden. Für eine Einschätzung des erzielten Lernzuwachses werden einerseits Item-Mittelwerte und das Delta (prä-post) für einzelne Items ausgewiesen. Zudem wurde als „Gesamtlernzuwachs“ einer Aufgabe Mittelwerte von allen Items einer Aufgabe gebildet und das Delta (prä-post) berechnet. Dieser Lernzuwachs wurde anhand des T-Tests für unverbundene Stichproben auf statistische Signifikanz überprüft – mit p≤.05 als Grenzwert. Aufgrund der großen Fallzahlen und der in der Regel eingipfligen Werte-Verteilungen bei den Einzelitems wurde sich für einen parametrischen Test entschieden. Als Maß für die erzielten Effektstärken der Mittelwertsunterschiede wurde Cohen’s d berechnet.

Hinsichtlich der bis dato vorliegenden Forschungsarbeiten werden einerseits die erfassten (benoteten) Ergebnisse vorgestellt. Zusätzlich werden in diesem Beitrag die ausgewählten Rückmeldungen einer studentischen Befragung zu den Erfahrungen mit der Forschungsarbeit vorgestellt. Studierende, die die Forschungsarbeit eingereicht und ihre Bewertung erhalten haben, erhalten Zugang zu einem Online-Evaluationsbogen, der Eckpunkte der Arbeitsphase, die Zufriedenheit mit der Betreuung sowie wahrgenommene Lerneffekte eruiert. N=84 Rückmeldungen wurden in die Analyse eingeschlossen. Für die vorliegende Darstellung wurden – als geschlossene Items – die Angaben zur Bearbeitungs- und Laufzeit, zur Vorbereitung und zur Unterstützung durch die Betreuer*innen ausgewertet. Zudem wurde die offene Frage nach den drei wichtigsten Lernergebnissen, die stichpunktartig beantwortet werden sollte, inhaltsanalytisch ausgewertet.

Ergebnisse

Lernfortschritte im Spiegel der ePortfolio-Aufgaben

Die Durchführung der ePF-Aufgaben und die Erhebung der subjektiven Einschätzungen zum Kompetenzzuwachs finden über ILIAS statt. Das Bestehen der einzelnen Aufgaben wird als „bestanden“ bzw. „nicht bestanden“ bewertet und erlaubt es, den individuellen Lernstand der Studierenden in Bezug auf das Wissenschaftsmodul zu verfolgen. Für nicht bestandene Leistungen wird eine Nachbearbeitungsfrist gewährt. Bei Verzögerungen im Studienfortschritt (durch Krankheit, Beurlaubungen, Auslandsaufenthalte) können die Leistungen nachgeholt werden. Für die ersten beiden Jahrgangskohorten zeigt sich mit Blick auf die fortlaufenden Modulleistungen, dass rund 90% der Studierenden die Aufgaben in dem vorgesehenen zeitlichen Rahmen erfolgreich bearbeiten (bezogen auf die ersten sechs ePF-Aufgaben, die innerhalb der ersten beiden Studienjahre zu bearbeiten waren).

Als Gradmesser für den durch die Aufgaben angestrebten inhaltlichen und methodischen Kompetenzzugewinn dienen zusätzlich die Selbsteinschätzungen durch die Studierenden. Bislang wurde für mindestens eine Aufgabe je Studienjahr eine Datenerhebung durchgeführt, weitere befinden sich in Vorbereitung. Für die Aufgabe im 2. Studienjahr konnten bereits von mehreren Jahrgängen Selbsteinschätzungen erhoben werden. Der Lernzuwachs – berechnet als Mittelwertsdifferenz – sowie die Effektstärken (Cohen’s d) zeigen, dass im Durchschnitt bei allen Aufgaben ein substantieller und statistisch signifikanter Zuwachs zu verzeichnen ist, wobei die Items innerhalb der jeweiligen Aufgaben – d. h. die unterschiedlichen Dimensionen der zu bewertenden Kompetenzen – eine beträchtliche Streuung aufweisen können. Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt exemplarisch ausgewählte Items mit dem minimalen und maximalen Lernzuwachs für jede Aufgabe, sowie den über alle Items einer Aufgabe berechneten Lernzuwachs.

Tabelle 1: Ermittlung des Lernzuwachses für ePortfolio-Aufgaben aus den ersten drei Studienjahren
Für jede ePF-Aufgabe werden zwischen 9 und 15 Items zur Beantwortung vor und nach der Aufgabenbearbeitung vorgegeben. Die Skala basiert auf fünf bzw. sieben Stufen mit den Polen „Min.=trifft voll zu“ <> „Max.=trifft gar nicht zu“. Dargestellt sind der minimale und maximale Lernzuwachs für Items aus jeder ePF-Aufgabe, sowie der Lernzuwachs für alle Items einer Aufgabe anhand des Delta (prä-post). Statistische Signifikanz wurde anhand des T-Tests für unverbundene Stichproben auf der Basis der prä-post-Items der jeweiligen Aufgabe ermittelt. Als Effektschätzer wurde Cohen’s d berechnet (hier als Durchschnitt der Lernzuwachs-Effektstärken der Items einer Aufgabe). Cohen schlägt eine Abstufung in d=0,20 (kleiner Effekt), d=0,50 (mittlerer Effekt) und d=0,80 (großer Effekt) vor.

Feedbackerstellung

Für die Beurteilung ihrer Aufgabenbearbeitungen erhalten die Studierenden bei Einzelaufgaben individuelle bzw. bei Gruppen-Aufgaben gruppenbezogene Feedbackbögen. Wurden diese anfänglich in freier Textform erstellt, die mit ausdifferenzierten Textbausteinen ergänzt wurden, kommen mittlerweile semi-strukturierte Feedbackbögen zum Einsatz. Diese erlauben eine arbeitsteilige Beurteilung: Studentische Mitarbeiter*innen kontrollieren vorab formale Aspekte der Einreichung. Die inhaltliche Überprüfung nehmen Lehrende des Wissenschaftsmoduls vor. Da die Frage der Durchführbarkeit dieses Formats wesentlich von den verfügbaren zeitlichen Ressourcen abhängt, wurden im Rahmen der ersten Aufgabenrückmeldungen die investierten personellen und zeitlichen Ressourcen erfasst. Je nach Komplexität der Aufgabe liegt die durchschnittliche zeitliche Dauer für die Erstellung eines Feedbacks bei 15 bis 30 Minuten. Würde eine Person alleine die Korrekturen durchführen, so entspräche dies in der Summe dem Drittel der jährlichen Arbeitszeit eines in Vollzeit beschäftigten Wissenschaftlichen Mitarbeiters.

Ergebnisse zur Forschungsarbeit

Die Einführung einer verpflichtenden schriftlichen wissenschaftlichen Leistung stellt im Medizinstudium nach wie vor Neuland dar. Aus diesem Grund werden nachfolgend die bisherigen Erfahrungen an der MHH berichtet. Dazu werden die ersten rund 200 eingereichten Arbeiten thematisch-inhaltlich eingeordnet und die Ergebnisse einer studentischen Evaluation vorgestellt.

Mit Blick auf die Methodenauswahl zeigt sich, dass der überwiegende Teil der Arbeiten als Literaturreview verfasst wird (56%). Rund 24% gaben an, die Arbeit auf der Grundlage vorhandener Daten (klinische Daten, Labordaten, Umfragedaten) erstellt zu haben. Und weitere 20% berichteten, dass sie für die Forschungsarbeit Daten erhoben haben, wobei es sich auch um die empirische Basis des Promotionsprojektes handeln kann. Mehr als die Hälfte dieser Gruppe gab allerdings an, die Daten primär für die Forschungsarbeit erhoben zu haben.

Mit Blick auf die Vorbereitung auf die Forschungsarbeit und den Zeitpunkt der gewünschten Unterstützung wurden differenzierte Rückmeldungen gegeben. Während im Vorfeld der Arbeit bei der Eingrenzung der Fragestellung bei rund einem Drittel ein Unterstützungsbedarf vorhanden war, wurden während des Arbeitsprozesses in erster Linie methodische Aspekte sowie die schriftliche Ausarbeitung als schwierig empfunden (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Tabelle 2: „Inwieweit hätten Sie sich mehr Unterstützung gewünscht“ (N=81): Relative und absolute Häufigkeiten
Rundungsbedingt in der (Quer)Summe mehr als 100% möglich.

Da die Forschungsarbeit auch für die allermeisten Lehrenden ein neues Format darstellt, wurde auch die Zufriedenheit mit der Betreuungsleistung erhoben (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]). Dabei wurde nur von einer Minderheit deutliche Unzufriedenheit artikuliert. Diese betraf in erster Linie die Unterstützung bei formalen Aspekten der Arbeit (inkl. Anmelde- und Bewertungsprozess), während die inhaltlich-fachliche Betreuung zum Großteil als sehr gut bzw. gut wahrgenommen wurde.

Abbildung 4: „Wie bewerten Sie die folgenden Aspekte der Betreuung?“ (N=81): Relative und absolute Häufigkeiten.
Rundungsbedingt in der (Quer)Summe mehr als 100% möglich.

Unabhängig von der Einschätzung der Studierenden zeigte eine ex-post-Überprüfung formaler Merkmale der eingereichten Arbeiten, dass das geforderte Abstract bei rund einem Drittel der Arbeiten nicht vorhanden war – auch dies verweist darauf, dass die Anforderungen an die FA bei den Betreuer*innnen noch nicht hinreichend bekannt sind.

Bei der zeitlichen Dimension der Forschungsarbeit wurden sowohl die reine Arbeitszeit als auch die Laufzeit erfragt. Dabei zeigte sich, dass rund zwei Drittel die anvisierten sechs Wochen für die Bearbeitung einhalten konnten (siehe Abbildung 5 a [Abb. 5]) – diese verteilten sich aber in der Regel über einen längeren Zeitraum, zumeist als semesterbegleitende Phasen unterschiedlicher Dauer und Intensität (siehe Abbildung 5 b [Abb. 5]).

Abbildung 5: Laufzeit der Forschungsarbeit (Zeit von der Themenvergabe bis zur Abgabe) & reine Arbeitszeit (=40 Std./Woche); n=81
5a=Laufzeit, 5b=Bearbeitungszeit

Während die e-PA-Aufgaben als unbenotetes, formatives Element im Wissenschaftsmodul Lernprozesse anregen und unterstützen sollen, wird die Forschungsarbeit benotet. Der standardisierte Feedbackbogen erlaubt es, das übliche Bewertungsschema (sehr gut – gut – befriedigend – ausreichend – nicht bestanden) auszuschöpfen. De facto zeigen die vergebenen Noten der ersten N=210 Arbeiten eine schwache Diskriminierung: 74% erhielten die Note „sehr gut“, 22% wurden als „gut“ bewertet, 4% als „befriedigend“ oder „ausreichend“.

Die Frage nach den wichtigsten Dingen, die im Rahmen der Forschungsarbeit erlernt wurden, beantworteten n=61 Studierende. Die stichpunktartigen Angaben wurden quantitativ erfasst und inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Kategorien wurden induktiv gebildet, in Anlehnung an zentrale NKLM-Lernziele für wissenschaftliche Kompetenzen bzw. eine wiss. Projektarbeit. Abbildung 6 [Abb. 6] zeigt die Häufigkeitsverteilung der Antworten, wobei insgesamt n=144 separate Aspekte aufgeführt wurden. Dabei wird deutlich, dass die Studierenden in erster Linie Kompetenzen im wissenschaftlichen Schreiben, aber auch bei der Suche und Verarbeitung wissenschaftlicher Quellen erwerben.

Abbildung 6: Selbst eingeschätzter Lernzuwachs im Rahmen der Forschungsarbeit – inhaltliche Kategorien (auf der Basis von stichpunktartigen Freitextangaben von n=61 Studierenden mit n=144 Aspekten)

Diskussion

Mit der Einführung des Wissenschaftsmoduls im Rahmen des Modellstudiengangs Medizin wurde an der MHH 2020 Neuland betreten. Nach einer Pilotphase, in der die Teilnahme auf freiwilliger Basis erfolgte, wurden einzelne didaktische Elemente weiterentwickelt und das Modul als verpflichtender Bestandteil des Curriculums implementiert. Die Realisierung orientierte sich dabei am NKLM-Mapping und füllte gezielt Lücken des bestehenden Curriculums. Die Konzeption beinhaltet eAssessment-Portfolio-Aufgaben mit formativen Feedbacks, vertiefende Seminare und die abschließende Forschungsarbeit. Mit Blick auf den in der Novelle der Approbationsordnung anvisierten Gesamtumfang von 480 Stunden für eine obligatorische Forschungsarbeit sowie die longitudinale Struktur wurde damit bereits der Grundstein für einen weiteren Ausbau gelegt. Hinsichtlich der Lernziele des Wissenschaftsmoduls wurde überwiegend auf die im NKLM als „Professionelle wissenschaftliche Tätigkeiten“ verankerten Grundlagen zurückgegriffen, da diese in anderen, bestehenden Modulen an der MHH bis dato nicht ausreichend gelehrt wurden. Obgleich eine neue approbationsbasierte Studienreform noch nicht konsentiert wurde, haben auch andere Fakultäten bereits Ihre wissenschaftlichen Stränge im Umfang erheblich ausgeweitet und longitudinal verankert [2], [6], [7], [8], [9]. Hinsichtlich der didaktischen Umsetzung gibt es zwischen den Fakultäten erhebliche Unterschiede, aber auch vergleichbare Elemente. Grundsätzlich bieten die meisten medizinischen Curricula inzwischen propädeutische Kurse an, die in das wissenschaftliche Arbeiten einführen. Diese finden zumeist als Seminare bzw. Praktika oder als Vorlesung statt. An der MHH werden die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens zum Teil im Rahmen der ePF-Aufgaben vermittelt. Die Vertiefung und Reflexion des Lernstoffs werden dabei durch die Studierenden in Form von schriftlichen Aufgaben geleistet. Damit soll zugleich die Einübung in schriftliche Formate erfolgen, die ansonsten im Medizinstudium wenig Eingang finden.

Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Aufgaben einen signifikanten Lernzuwachs generieren. Dieser zeigt sich im Vergleich der unterschiedlichen Aufgaben zwar in unterschiedlicher Höhe, jedoch substanziell in allen Studienjahren und bei nahezu allen Aufgabenelementen. Dieser Lernzuwachs wurde auch durch die bislang vorliegenden Ergebnisse des jährlichen wissenschaftlichen Progresstests bestätigt [27]. Diese Ergebnisse zeigen, dass mit der Themenauswahl bestehende Lücken im Lehrplan adressiert und geschlossen werden. Mit der Entwicklung von semi-strukturierten schriftlichen Feedbacks sind zudem kaum vorhandene Elemente in der medizinischen Ausbildung erprobt worden. Formative Feedbacks werden von den Studierenden als wichtige – gleichwohl oft vernachlässigte – Lehrressource betrachtet [28]. Umfragen haben verdeutlicht, dass sich Studierende der Medizin im Fachvergleich am unzufriedensten mit Rückmeldungen zu ihrem Leistungsstand zeigen [29]. Unsere bisherigen Erfahrungen mit den ePF-Aufgaben haben gezeigt, dass die Durchsicht und Feedbackerstellung ressourcenintensiver ist als die standardisierten Kontrollen von MC-Prüfungen. Individuelle Feedbacks erlauben aber eine genauere Rückmeldung zu den Stärken und Verbesserungspotentialen der Studierenden. Dieser Ansatz beinhaltet noch Entwicklungspotential: So könnte eine Weiterentwicklung in Richtung adaptiver Aufgabenstellungen erfolgen: Studierende, die im Rahmen der ePortfolio-Aufgaben frühzeitig ausgereifte methodische und reflexive Kompetenz nachweisen, könnten gezielt und früher an die abschließende Forschungsarbeit herangeführt werden.

Der erhöhte Zeitaufwand für die Korrektur der studentischen Einreichungen stellt für die Lehrenden gleichwohl eine Herausforderung dar, insbesondere da an vielen medizinischen Fakultäten die Studienplatzzahlen erhöht werden. Neben der Abbildung als quantitative Lehrleistung könnte auch eine Anrechnung als qualifizierendes Element für die Habilitation die Attraktivität von formativen Feedbacks erhöhen. Allerdings muss zum derzeitigen Zeitpunkt offenbleiben, ob und inwieweit die Feedbacks selbst zu einem Lernzuwachs oder einer erhöhten Lernmotivation beitragen können. Zukünftige Evaluationen sollten versuchen, dies mit abzubilden.

Auch die Betreuung von Forschungsarbeiten, bei denen die Einübung wissenschaftlicher Grundlagen im Vordergrund steht, ist für viele Lehrende noch ungewohnt. Im Gegensatz zur medizinischen Dissertation, die oftmals in eine Publikation mündet, stellt die Forschungsarbeit eine Studienleistung dar, die nicht (primär) auf die Produktion neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zielt. Anhand der ersten rund 200 abgeschlossenen Arbeiten hat sich aber gezeigt, dass die Einführung einer sechswöchigen wissenschaftlichen Arbeit eine Reihe von positiven Effekten hervorbringen kann. Der Lernzuwachs, den der Großteil der Studierenden als Ergebnis der Forschungsarbeit benennt, deckt eine Reihe von entsprechenden Lernzielen des NKLM ab, die bis dato nicht tiefergehend im Curriculum verankert waren: Dazu zählen in erster Linie die adäquate schriftliche, grafische und tabellarische Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse (VIII.1-04.2.; VIII.1-04.1.12; VIII.1-04.2.7). Die Erarbeitung der Grundlagen im Rahmen eigener Projekte (VIII.1-04.2.2) führt zudem zu einer Reihe weiterer Kompetenzen, die sowohl für weitere Forschungswege, aber auch für die alltägliche ärztliche Arbeit einen Mehrwert bieten: insbesondere die Literaturrecherche sowie die kritische Rezeption von Studienergebnissen (VIII.1-03.1.4; VIII.1-04.2.1; VIII.1-02.1.4). Im Kontext dieser Prozesse ist auch der geschultere Umgang mit für die Text- und Grafikproduktion sowie der Literaturverwaltung essentieller Software zu sehen.

Die weiteren Angaben der Studierenden verweisen – wenn auch in geringerer Anzahl – auf Kompetenzzuwächse in Methoden der Datenanalyse bzw. statistischen Methoden. Als ein wichtiger weiterer Aspekt ist die Auseinandersetzung mit den Elementen des Wissenschaftsbetriebes zu nennen, den die Studierenden kennenlernen können. Dazu gehört die Diskussion mit Forscher*innen und Ärzt*innen, Vorträge, der Umgang mit Feedback, aber auch die Selbstreflexion über eigene Stärken und Schwächen (VIII.6-03.1.5; VIII.6-03.1.1; VIII.1-02.1.1.)

Dennoch wurden im bisherigen Einführungsprozess auch konzeptionelle Defizite offensichtlich. So ist einerseits der Informationsstand bei Studierenden und Betreuer*innen über die formalen und didaktischen Anforderungen der Forschungsarbeit teilweise lückenhaft. Dies zeigt sich sowohl in der Nicht-Einhaltung formaler Vorgaben, aber auch in der Tatsache, dass oftmals die Studierenden die in ILIAS verfügbaren Informationen für die Lehrenden nachfragen. Der Blick auf die Bewertung der Betreuungsqualität, aber auch die Streuung beim verausgabten Zeitaufwand, zeigen, dass noch kein homogener Standard in Umfang und Betreuung der Arbeiten erreicht ist.

Unabhängig vom Ziel der Promotion ist die Betreuungsqualität ein zentraler Baustein im Konzept der wissenschaftlichen Ausbildung [9]. Da in der Regel ärztliche und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen aus unterschiedlichen Fächern mitwirken, ist die Herstellung verbindlicher Maßstäbe nach wie vor eine zentrale Herausforderung. An der MHH wird die Betreuung von Qualifikationsarbeiten deshalb im Rahmen von Kursen über gute wissenschaftliche Praxis für Lehrende adressiert. Der Besuch dieser Veranstaltung ist für die Erlangung der Venia Legendi obligatorisch. Die Anleitung von Studierenden, die Hilfestellung bei der Entwicklung von Fragestellungen und der schriftlichen Ausarbeitung, kann aber auch in der Weiterbildungsphase Impulse für die eigene Qualifikation bieten. Über diesen Aspekt des „sekundären“ wissenschaftlichen Kompetenzzuwachses im Rahmen der Weiterbildungsphase bzw. Karriereentwicklung ist gleichwohl noch weitere Forschung notwendig.

Für die Studierendenperspektive weisen die hier vorgelegten Analysen nach, dass die zu bearbeitenden Aufgaben sowie die abschließende Forschungsarbeit in der Selbsteinschätzung einen Lernzuwachs bieten. Zukünftige Untersuchungen müssen zeigen, ob sich diese Effekte auch über die Gesamtdauer der Ausbildung und darüber hinaus verstetigen lassen. Auch die Frage, welche Lehrformate und Konzeptionen sich besonders für die Stärkung der wissenschaftlichen Kompetenzen im Medizinstudium eignen, bleibt vorerst offen. Insbesondere die Nutzungsmöglichkeiten von generativer Künstlicher Intelligenz werfen in diesem Zusammenhang neue Fragen auf, deren ausführliche Erörterung hier den Rahmen sprengen würde. Aus Sicht der Lehrverantwortlichen des Wissenschaftsmoduls hat sich bislang die Linie einer „kritischen Nutzung“ bewährt. Eine MHH-Richtlinie zum „Umgang mit textgenerierender künstlicher Intelligenz (KI) bei der Erstellung wissenschaftlicher Dokumente“ verpflichtet Studierende, die Nutzung und den Umfang von KI im Kontext der Arbeit offenzulegen. Bislang sind uns keine Fälle bekannt, in denen davon Gebrauch gemacht wurde – ebenso wenig wie missbräuchliche Fälle in größerem Ausmaß manifest geworden sind.

Für den Erfolg und Misserfolg einer im Umfang begrenzten, schriftlich-ausformulierten wissenschaftlichen Arbeit scheinen vorerst noch anderen Kriterien von Bedeutung zu sein: In kritischen Rückmeldungen zum Modul wird von Seiten der Studierenden der zusätzliche Zeitaufwand für eine Forschungsarbeit zumeist deutlich kritisiert. Für die dauerhafte curriculare Verankerung der bislang erprobten Ansätze ist die Umsetzung in einer neuen Approbationsordnung sowie der Ausbau geschützter Zeiten für wissenschaftliche Arbeit im Studium von großer Bedeutung: als Zeichen an die medizinischen Fakultäten und um die notwendigen personellen Ressourcen für die strategische und inhaltliche Weiterentwicklung zu sichern.

Fazit & Ausblick

Durch die Weiterentwicklung des NKLM und das Mapping des bestehenden Curriculums an der Fakultät lassen sich zielgerichtet angepasste Wissenschaftscurricula entwickeln und zugleich Redundanzen vermeiden. Die Einführung neuer, wissenschaftsorientierter Lehr- und Lernkonzepte bietet für die zukunftsorientierte medizinische Ausbildung wichtige Impulse. Sie bieten den Studierenden – etwa durch die Auswahl des Themas einer Forschungsarbeit im Studium – eine größere Wahlfreiheit, die die eigenen Interessen und damit die Motivation stärkt. An der MHH wurde das Wissenschaftsmodul mit dem Anspruch entwickelt, der stark verschulten Struktur des Medizinstudiums durch eigenständige Lernprozesse neue Perspektiven zu eröffnen. Dazu dienen einerseits ePortfolio-Aufgaben, mit denen eine große Bandbreite an grundlegenden, aber auch aktuellen Themen adressiert werden kann. Wie auch an anderen Fakultäten ist die Forschungsarbeit an der MHH der Abschluss des Wissenschaftsmoduls. Durch die engere Betreuung im Rahmen von Projektarbeiten können Studierende wissenschaftliches Arbeiten im realen Forschungskontext erfahren – ähnlich den Erfahrungen im klinischen Alltag. Umgekehrt bieten sich für Kliniken und Institute Möglichkeiten, forschungsaffinen Nachwuchs frühzeitig einzubinden, auszubilden und so in die Forschung zu bringen.

Förderung

Die Entwicklung des Wissenschaftsmoduls wurde durch Drittmittel aus den Programmen „Innovative Lehr- und Lernkonzepte: Innovation plus“ und „Qualität plus – Programm für gute Lehre in Niedersachsen“ des Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) gefördert.

ORCIDs der Autor*innen

Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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